"Nicht alle wollen beim Spielen aufstehen"
Knapp vier Jahre nach Nintendos Wii bringen Microsoft und Sony mit Kinect und Move demnächst eigene Bewegungsteuerungen auf den Markt - und haben damit noch alle Chancen, meint Jason VandenBerghe, Creative Director beim Spielestudio Ubisoft. Die Branche experimentiere mit passenden Spielen, eine Killeranwendung fehle noch. Sie werde dem Spieler aber auf alle Fälle erlauben müssen, sich niederzusetzen.
VandenBerghe hielt auf der Entwicklermesse GDC, die im Vorfeld der Spielemesse Gamescom in Köln stattfand, einen unterhaltsamen und informativen Vortrag über die Erfahrungen seines Teams bei der Entwicklung des Wii-Spiels "Red Steel 2". Diese waren laut VandenBerghe ernüchternd: Nicht nur sei es schwierig, den Spielern die richtigen Bewegungen für die passende Steuerung beizubringen, die Zahl der Personen, die beim Videospielen tatsächlich aufstehen möchten, belaufe sich nur auf rund 20 Prozent.
Jason VandenBerghe ist Creative Director bei Ubisoft in Paris und war verantwortlich für die Umsetzung von "Red Steel 2" für Nintendos Wii.
"Der Markt ist klein, sehr klein", so VandenBerghe im Vortrag, vor allem wenn die Hardware für die Bewegungssteuerung nur extra zu kaufen ist und es keinen gemeinsamen Standard gibt. Er sieht trotz allem eine rosige Zukunft für Bewegungssteuerung auf Konsolen. ORF.at hat ihn zu den Chancen und Hindernissen für Wii, Kinect und Move näher befragt.
ORF.at: Ihre These lautet, dass sich nur rund 20 Prozent der Leute vor dem Fernseher bewegen wollen.
VandenBerghe: Das ist nur eine Vermutung, eine Schätzung, ich habe keine genauen Zahlen, mit denen ich die These untermauern kann. Aber nach all dem, was ich bei den zahlreichen Präsentationen von "Red Steel 2" gesehen habe und was ich an direktem Feedback erhalten habe, sagt mir meine Intuition, dass es rund 20 Prozent sind. Wie viel es genau sind, kann ich nicht sagen, aber ich bin mir sicher, dass es unter 50 Prozent sind. Es gibt Leute, die sagen, dass ich das als Ausrede für den geringen Erfolg meines Spiels "Red Steel 2" heranziehe, aber darum geht es mir nicht. Ich will den anderen Entwicklern vermitteln, dass es nur eine bestimmte Zahl an Personen gibt, die sich beim Videospielen auch tatsächlich bewegen wollen. In meinem Vortrag habe ich die Zuhörer zu Beginn gebeten, aufzustehen und sich zu strecken. Am Ende habe ich gefragt, wer von der Idee, aufzustehen, begeistert war - von rund 250 Zuhörern haben gerade einmal zehn die Hand gehoben. Das ist unser Publikum, darüber reden wir. Ich sage nicht, dass wir scheitern werden, aber wir müssen es als Realität akzeptieren, dass nicht jeder sofort von der Couch springt, um mit vollem Körpereinsatz etwa ein Auto zu steuern. Es stimmt einfach nicht, dass das jeder will. Es gibt sicher eine große Gruppe, aber wir müssen akzeptieren, dass sie deutlich kleiner ist, als die Gruppe der Menschen, die Videospiele spielen möchten.
ORF.at: Widerspricht Ihre These nicht den Verkaufszahlen von Nintendos Wii, die sich mittlerweile einige zig Millionen Mal verkauft hat?
VandenBerghe: Mir geht es vor allem um das Aufstehen beim Spielen. Die meisten Wii-Spiele kann man auch im Sitzen spielen, bei "Red Steel 2" ist das sehr schwierig. "Dance Dance Revolution" kann man auch nur schwer im Sitzen spielen. Die Leute wollen nicht ihre Arme bewegen, sie wollen nicht alle beim Spielen aufstehen und den ganzen Körper bewegen. Das ist ja nichts Schlechtes, ich sage auch nicht, dass die Leute faul sind - es geht schließlich um Unterhaltung. Viele hatten einen langen Tag, sind müde von der Arbeit und sitzen einfach zur Entspannung auf der Couch.
ORF.at: Es ist wie der Unterschied zwischen der Arbeitssituation vor dem Rechner und dem Couchpotato-Modus vor dem Fernseher.
VandenBerghe: Genau, vor dem Rechner sind die Erwartungen ganz anders. Auf dem PC mögen die Leute lieber Spiele, bei denen sie aktiv etwas tun können. Bei Konsolen reden wir aber über die Couch im Wohnzimmer, wo die Leute gewohnt sind, sich zur Entspannung einen Film anzusehen oder mit Freunden "Halo" zu spielen. Ich versuche den Entwicklern zu sagen: Seid euch bewusst, dass ihr von den Leuten etwas verlangt, das sie nicht unbedingt tun wollen! Und wenn Entwickler von Spielern etwas wollen, das diese nicht tun wollen, dann tun die Spieler das normalerweise auch nicht. Sie müssen ja nicht. Wenn, muss das Spiel den Aufwand schon wert sein. Das Problem ist, dass derzeit jeder davon ausgeht, dass die Leute in Zukunft alle von ihren Sofas aufspringen werden, um eine bestimmte Position etwa zum Schießen einzunehmen. Ja, die Leute wollen das Konzept und die Technologie ausprobieren, aber sie wollen keine 14 Stunden damit verbringen. Das ist einfach anstrengend. Viele Spieleentwickler denken auch bereits darüber nach, das ist keine neue Idee, die ich erfunden habe. Ich will nur andere warnen, weil wir mit "Red Steel 2" schmerzhafte Erfahrungen gemacht und andererseits viel gelernt haben.
ORF.at: Daraus könnte man ableiten, dass es Microsofts Kinect viel schwieriger haben wird, sich auf dem Markt durchzusetzen als Sonys Move?
VandenBerghe: Kinect sollte zumindest auch nur im Sitzen auf der Couch gut funktionieren - das wird es auch, da stecken einige kluge Köpfe dahinter, denen das Problem durchaus bewusst ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Leute sich auf dem Sofa entspannen wollen und wir einen Widerspruch schaffen, indem wir von ihnen verlangen, sich am Ende des Tages noch körperlich anzustrengen. Ich habe bisher noch keine Killeranwendung für Kinect oder Move gesehen, aber ich bin mir sicher, dass sie kommt - und dass die Killeranwendung dem Spieler erlauben wird sich niederzusetzen.
ORF.at: Kopieren Microsoft und Sony Nintendo nicht einfach?
VandenBerghe: Gute Ideen kommen selten alleine - ich weiß nicht, wer die ursprüngliche Idee hatte, und es ist mir auch egal. Die Ansätze sind unterschiedlich und jeder hat spezielle Features: Sonys Move ähnelt der Wii, hat aber einige interessante Vorteile, wie die höhere Auflösung und die Kalibrierung. Sony ist hervorragend in Hardware-Details, sie wissen, wie man gute Hardware baut. Microsofts Kinect ermöglicht dafür ein breites Einsatzgebiet, das Microsoft auch erkunden will. Es bleibt aber abzuwarten, wie viele Leute Move und Kinect wirklich kaufen - das ist der Unsicherheitsfaktor, den sich keiner anzusprechen traut. Die ganze Industrie möchte, dass die Leute Kinect und Move kaufen, aber solange die Leute für ein Peripherieteil extra Geld ausgeben müssen, bleibt das ein Nischenmarkt. Das wissen auch Microsoft und Sony. Wir alle warten nun, was passiert und ob sie damit Erfolg haben. Auf lange Sicht wird sich die Bewegungssteuerung schon durchsetzen, die Frage ist nur, wann. Die Spieleentwickler haben hier etwas ganz Entscheidendes beizutragen, von ihnen hängt es im Endeffekt ab, ob das Experiment erfolgreich ist oder nicht. Ich glaube fest an das Konzept der Bewegungssteuerung, aber es ist nicht einfach umzusetzen.
ORF.at: Sie haben auch über andere Herausforderungen gesprochen, etwa dass es schwierig ist, für nur eine einzige Plattform zu entwickeln - obwohl gerade die Wii die derzeit erfolgreichste Plattform ist.
VandenBerghe: Die Wii-Verkäufe sind überirdisch, niemand kann Nintendo da einholen. Das Problem ist aber auch, dass Nintendo die einzige Firma ist, die bisher Erfolg mit dieser Art von Bewegungssteuerung hatte. Die Frage ist, wie können wir das in ein erfolgreiches Genre verwandeln, zu einer erfolgreichen Kategorie, die es im Moment als solche nicht gibt. Ich weiß nicht, was ich mit dem Erfolg von "Wii Sports Ressort" anfangen soll und ich weiß, es geht vielen in der Branche so. Es ist nicht klar, ob man das so einfach reproduzieren kann und ob das jemand anderer als Nintendo kann. Wir haben derzeit nicht genug Daten, es gibt nicht genug Spiele, um ableiten zu können, was genau passiert.
ORF.at: Obwohl die Wii nun fast vier Jahre auf dem Markt ist, wird also im Prinzip immer noch herumexperimentiert?
VandenBerghe: Wir reden immer noch über die Zukunft - die nahe Zukunft, ja, aber im Moment tappen wir zum großen Teil noch im Dunkeln. Wir werden erst frühestens in einem Jahr sagen können, was sich durch Kinect und Move verändert oder auch nicht. Derzeit können wir nur raten. In drei oder vier Jahren werden wir besser verstehen, wie Bewegungssteuerung und Videospiele zusammenpassen, und das auch abseits des Casual-Markts. Derzeit haben wir nur eine Liste von Spielen, die möglich wären.
ORF.at: Der Markt ist also noch offen? Nintendo hat den Markt nicht vollständig besetzt, und es gibt noch Platz für Sony und Microsoft?
VandenBerghe: Natürlich, das sind unterschiedliche Gruppen. Wettbewerb in der Spieleindustrie ist wie in der Filmindustrie: Er ist nicht exklusiv. Nur weil sie eine Bewegungssteuerung für die Wii besitzen, heißt das nicht, dass sie nicht auch eine für eine andere Konsole haben können. Es gibt viele unterschiedliche Spieler da draußen. Der Erfolg der Wii zeigt, dass diese Art der Steuerung viele Leute anspricht, und ich bin mir sicher, dass Sony und Microsoft in ihren Nischen auch Erfolg haben werden. Ich weiß nicht, wie groß diese Nischen sein werden, aber ich persönlich hoffe, dass beide Erfolg haben und so den Weg für die nächsten Gamingplattformen ebnen.
ORF.at: Sie persönlich sind ja eher skeptisch gegenüber Kinect, wo der Spieler gar nichts in der Hand hält.
VandenBerghe: Der Ansatz ist faszinierend, Microsoft hat einen wirklich harten Schritt gesetzt, indem sie den ganzen Körper zum Controller gemacht haben und begeistern damit auch das Publikum. Bei bestimmten Genres gibt es allerdings ein Problem mit der Präzision und der Fantasie. Wir nennen das "Kinetic Feedback": Wenn ich meine Hände oder meinen Körper bewege, kann ich das fühlen. Dieses Gefühl ist Teil der Erfahrung. Und wenn ich meine Hand bewegen muss, um ein Auto zu lenken, erzeugt das eine Dissonanz, die der Fantasie im Weg steht. Für Actionspiele, besonders solche mit starkem Wettbewerbsfaktor bei denen es um Bruchteile von Sekunden geht, braucht man meiner Meinung nach weiterhin eine Eingabemethode, die präzise Bewegungen ermöglicht, wie einen Stick. Mit dem Nunchuck gibt es das auf der Wii. Ich habe mit Microsoft darüber gesprochen, und die waren alles andere als überrascht, mein Gesprächspartner erklärte mir sogar: Sie können immer noch den Controller benutzen, das ist okay. Wir werden sicher Experimente mit Kombinationen unterschiedlicher Eingabemöglichkeiten sehen, auch mit Touch - und wir werden trotz allem weiterhin Mäuse und Tastaturen haben. Controller haben Tastaturen auch nicht eliminiert, Tastaturen sind für Echtzeit-Strategiespiele und Simulationen immer noch großartig.
ORF.at: Was können Sie sich persönlich nach den Bewegungssteuerungen vorstellen?
VandenBerghe: Ich bin schon gespannt auf Eye-Tracking oder die Erfassung kleiner Berührungen zwischen Finger und Daumen, die als Buttons interpretiert werden können. Daraus ergeben sich wundervolle Möglichkeiten, für das Spielen unterwegs aber auch für virtuelle Welten. Virtuelle Keyboards sind ebenfalls interessant. Es gibt noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, nicht zuletzt unser Gehirn - aber bei allem werden wir mit Einschränkungen zu tun haben, die wir nicht außer Acht lassen können.
(futurezone/Nadja Igler)