Trevor Paglen: Es gibt hier nichts zu sehen
In dem neuen Band "Invisible" versammelt der US-amerikanische Geograf und Künstler Trevor Paglen seine wichtigsten Projekte. Mit seinen Bildern von geheimen Stützpunkten, "Folter-Taxis" und Satelliten erkundet Paglen die Grenzen der Fotografie und des Rechtsstaats.
Das Bild ist unscharf. Es zeigt einen Mann, der unterhalb der geöffneten Luke einer Boeing 737 steht, hart beleuchtet von einer Scheinwerferbatterie. Ringsum ist Nacht. Die Maschine steht auf einer Basis in Nevada, Trevor Paglen hat sie von öffentlichem Grund aus fotografiert, aus einem Abstand von eineinhalb Kilometern, mit einer Astrofotografieausrüstung.
Andere Bilder in Paglens erster Foto-Monografie "Invisible - Covert Operations and Classified Landscapes" zeigen Hütten auf militärischen Sperrgebieten und geheime Hangars, die hinter einem Vorhang aus flirrender Hitze gerade noch als solche zu erkennen sind. Die Serie "Other Night Sky" stellt Überwachungs- und Spionagesatelliten als Lichtspuren am Nachthimmel dar. Um sie zu finden, hat sich Paglen mit Astronomie- und Raumfahrtfreunden ausgetauscht, Daten gesammelt und ausgewertet, Kameras auf mobile Spezialplattformen montiert, die die Erdrotation mittels Computersteuerung und eingebauten Mikromotoren kompensieren.
"Invisible" ist im Verlag der renommierten US-Stiftung Aperture erschienen. Es kostet bei Anbietern in der EU rund 41 Euro.
Küchenlatein für Geheimprojekte
Viele der Fotos in "Invisible" wirken banal, in vielen Fällen sogar missglückt. "Für mich sind diese Fotografien nicht nur Aufnahmen von geheimen Orten, sondern auch Bilder, die die physikalischen Grenzen des Sehens erkunden und aufzeigen, was passiert, wenn das Licht selbst in sich zusammenfällt", schreibt der Künstler-Rechercheur in seinem Nachwort.
Dort schildert Paglen auch, wie er mit Hilfe von "Planespotter-Nerds" den "Rendition Flights" auf die Spur kam, eine Geschichte, die er gemeinsam mit dem Journalisten A. C. Thompson in dem Buch "Torture Taxi" (2006) aufgearbeitet hat, oder wie er sich mit den Veteranen diverser US-Geheimprojekte angefreundet hat, die ihm Einblick in die Folklore des militärisch-industriellen Komplexes der Vereinigten Staaten gewährten. Paglen sammelte ihre "Badges", Aufnäherabzeichen für die Teilnehmer an Geheimmissionen und Satellitenstarts, gerne gerahmt von einem Motto in lateinischer Sprache, Science-Fiction-Artefakte eines Parallelweltimperiums, versteckt in künstlich erzeugten Raum-Zeit-Falten und "Black Sites".
Temporäre demokratielose Zonen
Zu vergleichen ist Paglens Arbeit vielleicht mit der Serie "Temporary Discomfort" des Schweizer Künstlers Jules Spinatsch, der das World Economic Forum in Davos mit Teleobjektiven und Überwachungskameras ausforschte oder das berüchtigte G8-Treffen 2001 in Genua als temporäre Festung aus krude zusammengezimmerten Absperrungen und Containerwänden zeigte.
Spinatsch und Paglen zeichnen die Umrisse von Enklaven nach, in denen Rechtsstaat und Gewaltenteilung aufgehoben sind. Die darin ausgeübte Gewalt lässt sich nur erahnen. Es bleiben Spuren wie Fluglisten oder gefälschte Unterschriften in Dokumenten von CIA-Geheimfirmen zurück, das bürokratische Ektoplasma von "Gespenstern", wie Paglen die anonymen Akteure nennt.
Glaubwürdige Gespenster
Angesichts von Titeln wie "I Could Tell You but Then You Would Have to Be Destroyed by Me" oder "Blank Spots on the Map - The Dark Geography of the Pentagon's Secret World" könnte man versucht sein, Paglens Projekte in die Trickster-Tradition der viktorianischen Geisterfotografie einzuordnen. Die gezeigten Boeings und Cessnas sind schließlich keine fremdartigen Prototypen, sondern Alltagsgerät, das auf jedem größeren Flughafen der Welt herumsteht - und der Leuchtstreifen am Nachthimmel könnte auch ein gemütlicher Fernsehsatellit sein, oder Ergebnis einer Photoshop-Mausfingerübung. Erst Paglens schriftliche Dokumentation lädt die Bilder mit Bedeutung auf, verankert sie in der Realität der Machtpolitik.
Dabei sorgen gerade die technischen Unzulänglichkeiten und die verschwommene Fadesse in Paglens Bildern von den "Black Sites" dafür, dass "Invisible" ein präzises Porträt einer westlichen Welt liefert, die sich selbst vergessen hat. Die wichtigste Parole dieser Sphäre lautet: Es gibt hier nichts zu sehen. Weitergehen.
(futurezone/Günter Hack)