Alles neu, alles beim Alten
Vergangene Woche wurde Köln zur Metropole der Gaming-Szene - rund 254.000 Besucher waren bis Sonntag bei der größten Spielemesse Gamescom. Was brachte die Gamescom 2010? War sie spannend oder langweilig? Beides. Ein Kommentar von Anatol Locker.
Seit zwei Dekaden bedient sich die Spielebranche derselben Strategien, ihre Titel zu verkaufen. Das erste Gesetz heißt: "Spektakuläre Grafik zählt." Jedes Spiel muss grafisch seinen Vorgänger toppen. Das zweite Gesetz heißt: "So wenig spielerische Innovation wie nötig". Wohl, um niemanden zu überfordern. Die dritte Strategie kennt man aus dem Kino: die klassische Markenentwicklung oder auch "Hängen wir ’ne Nummer dran".
Kein Wunder also, dass es auf der Gamescom 2010 außer Shootern kaum andere Spielegenres zu sehen gab. Denn Shooter erfüllen die Vermarktungsgesetze perfekt. So strotzten die Pressebriefings der großen Spielefirmen vor Lautstärke, abgetrennten Gliedmaßen und spielerischer Eintönigkeit. Vieles sah aus, als wäre es dem Popcornkino der 80er entsprungen.
Shooter sterben nicht
Nicht immer muss der klassische Ansatz schlecht sein. Wie bei "Call of Duty: Back Ops". Das imposanteste Spiel der Serie entwirft durch kinematische Kniffe eine atemberaubend dichte Atmosphäre. Sci-Fi-Shooter "Dead Space 2" bedient sich geschickt bei der "Resident Evil"- und "Halo"-Serie. Während "Fallout: New Vegas" als schmackhaftes Intermezzo vor dem nächsten "Elderscrolls"-Spiel verstanden werden kann, entwickelte id-Software für "Rage" eine vielversprechende Engine, die angeblich auch auf Konsolen in stabilen 60 FPS läuft. Dabei setzen die Designer auf die Missionsverteilung, die schon in "Diablo" Spaß machte: In den Städten holt man sich Missionen und Items, um dann vor den Toren der Stadt zu ballern.
Nur wenn Marken nicht mehr funktionieren, müssen die Designer sich Neues einfallen lassen. Bestes Beispiel: "Bioshock 2" war nur ein lauwarmer Aufguss des Klassikers. Für "Bioshock Unlimited" haben die Programmierer neu nachgedacht. Statt am Meeresgrund spielt der dritte Teil nun in einer fliegenden Stadt. Was an grafischem Art-Deco-Feuerwerk abgebrannt wurde, sucht seinesgleichen. Charmant war auch "Deus X: Human Revolution", das spielerische Freiheitsgrade bietet, die dem Serienerfinder Warren Spector Freude bereiten würden, würde er nicht gerade für Disney "Epic Mickey" entwickeln.
Neue Geschäftsmodelle und große Namen
Ein relativ neuer, boomender Geschäftszweig sind Browser- und Free-to-play-Spiele. Sie wurden bisher von Core-Gamern belächelt und von der Fachpresse schlicht ignoriert. Das könnte sich ändern, und nicht nur durch MMOs wie "Guild Wars 2".
Die Ankündigung der Traditionshersteller Microsoft und Ubisoft, große Spieletitel wie "Age of Empires" oder "Die Siedler" als kostenlose Onlinespiele unters Volk zu bringen, schlägt im Netz hohe Wellen. Die Free-to-play-Spiele bedienen sich derselben spielerischen Elemente wie die Vollpreistitel. Allerdings wird das Gameplay auf Langfristigkeit angepasst - schließlich soll der Spieler möglichst täglich wiederkommen.
Die Entscheidung, Games kostenlos abzugeben, kommt nicht von ungefähr. PC-Spiele verkaufen sich stabil, verzeichnen aber keine großen Zuwachsraten mehr. Ganz im Gegenteil zu den Browser-Spiel-Titeln von Bigpoint, Travian und Gameforge. Sie ziehen weltweit Millionen User an, die für Spielbeschleuniger oder Items die Kreditkarte zücken. Bigpoint und Gameforge reagieren auf die Bedrohung durch die Traditionshersteller, indem sie große Namen lizenzieren. Bigpoint bringt neben dem Browser-Sandbox-Spiel "Poisonville" das Sci-fi-Browser-Spiel "Battlestar Galactica". Über Geld von Gameforge darf sich dagegen Paramount freuen, die gerade "Star Trek"-Lizenzen für mehrere Spiele gekauft haben.
Noch sind die Spiele kaum geeignet, einem "World of Warcraft" ernsthaft nahe zu kommen. Das könnte sich in den nächsten Jahren ändern.
Wenn Spieler springen müssen
Für Medienwirbel sorgten die Bewegungssteuerungen von Microsoft und Sony - die Bilder springender Spieler waren ein gefundenes Fressen für TV-Nachrichten. Klar ist, dass zu Microsofts "Kinect"-Launch ausschließlich Casual-Spiele erscheinen, während Sony für "Move" alte Spiele upgradet und so eine breitere spielerische Palette anbietet.
Microsofts Ansatz ist radikaler, Sonys gemäßigter. Für eine abschließende Erfolgsbewertung ist es noch zu früh. Klar ist nur, dass nach unzähligen Wii-Casual-Titeln nun die zweite Welle "droht". Unterschätzen sollte man die neuen Bewegungssteuerungen nicht: Babytiger mit den Händen zu streicheln mag Core-Gamer stören - doch die völlige Immersion der Bewegungs- und Gestensteuerung bringt stärkere Gefühle ins Spiel.
Und Nintendo? Sie haben mit dem Nintendo 3DS einen spitzen Pfeil im Köcher. Auf der Gamescom 2010 zeigten sie, was sie am besten können: niedliche, familienfreundliche Spiele herausbringen - wie das Geschicklichkeitsspiel "Kirbys Epic Yarn". Es sieht in einem Textil-Lok putzig aus, spielt sich aber brillant. Auch das neue "Zelda" bringt keine Revolution, spielt sich aber wie Butter.
Nichts Neues also. Aber vielleicht ist es ja für die Spieler gut, dass alles beim Alten bleibt.
(Anatol Locker)