Fernsehen mit 140 Zeichen
Twitter und Facebook haben in den USA zu einer Renaissance des Eventfernsehens geführt. Ereignisse wie der Super Bowl und die Fußball-WM werden nicht mehr nur am nächsten Arbeitstag mit den Kollegen an der Kaffeemaschine debattiert, sondern noch während der Sendung über das Netz kommentiert. Einige Start-ups arbeiten deshalb jetzt daran, den TV-Konsum mit Sozialer Software im Netz zu integrieren.
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.
Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" berichtet er von der schönen neuen Onlinefernsehwelt. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
Die diesjährige Fußball-WM war für Twitter eine wahre Achterbahn. Der Mikrobloggingdienst war während des Turniers so populär wie nie zuvor - und hatte deshalb wochenlang mit technischen Problemen zu kämpfen. Komplett unerreichbar waren Twitters Server im Juni offiziellen Statistiken zufolge knapp sechs Stunden. Doch auch außerhalb dieser Zeit kam es immer wieder zu Fehlermeldungen. Die Firma sah sich schließlich zu einer öffentlichen Stellungnahme gezwungen, in der man technische Fehlkalkulationen und bisher ungekannte Nutzeranstürme für die Ausfälle verantwortlich machte.
CNN schätzte, dass allein während des ersten Spiels der WM mehr als 300.000 fußballbezogene Tweets verschickt wurden. Doch Twitters Ausfälle lagen nicht allein an der Masse der bis zu 160 Zeichen langen Nachrichten. Problematischer war, dass die ganze Welt gebannt den Spielen zuschaute - und dann nach jedem Tor um die Wette twitterte. Die Firma erklärte später, während derartiger WM-Höhepunkte bis zu 3.283 Tweets pro Sekunde bekommen zu haben - genug, um den Dienst immer wieder an den Rand seiner Leistungsfähigkeit zu bringen.
Livefernsehen boomt
Twitter war nicht der einzige Dienst, der während der Fußball-WM Nutzerrekorde verzeichnete. Auch die Onlineübertragungen der Spiele waren beliebt wie nie zuvor, und traditionelle Fernsehsender verzeichneten ebenfalls Rekordeinschaltquoten. Selbst in den sonst nicht eben für Fußballbegeisterung bekannten USA verfolgten 25 Millionen Haushalte das WM-Endspiel. Während dieser WM habe man im Schnitt pro Spiel 41 Prozent mehr Zuschauer gehabt als vor vier Jahren, hieß es dazu vom Sportsender ESPN.
Von Zuwächsen wie diesen können US-Fernsehsender sonst nur träumen. Die wachsende Konkurrenz von Tausenden von Kabelkanälen, Videospielen und dem Internet hat dazu geführt, dass die Branche dort seit Jahren mit schrumpfenden Zuschauerzahlen zu kämpfen hat. Die einzige Ausnahme: Sportveranstaltungen und andere Liveevents. So wurde der diesjährige Super Bowl von 106 Millionen US-Zuschauern gesehen und war damit die populärste US-amerikanische Fernsehsendung aller Zeiten. Auch die olympischen Winterspiele, die Grammys und die MTV Music Awards bescherten US-Fernsehsendern Traumquoten.
Soziale Webdienste ergänzen TV
Gleichzeitig führten all diese Veranstaltungen auch bei Twitter, Facebook und Co. zu Beteiligungsrekorden. Experten halten das für keinen Zufall. "Events haben schon immer für Gespräche gesorgt", sagte Mark Ghuneim von der New Yorker Agentur Wiredset. "Heute finden diese Gespräche in Sozialen Medien statt."
Wiredset betreibt unter anderem den Marktforschungsdienst Trendrr, der die Twitter-Datenströme zur Marktforschung für die Fernsehbranche nutzt. Ghuneim glaubt, dass der Wunsch zum Austausch über das Fernsehprogramm nicht neu ist. Früher seien solche Gespräche jedoch aufs eigene Wohnzimmer beschränkt gewesen. "Heute ist aus der fünfköpfigen Familie eine Gemeinde von 500 Millionen Menschen geworden", sagte er.
580.000 MTV-Tweets
Fernsehsender reagieren auf diesen Trend, indem sie gezielt mit Firmen wie Twitter & Co. zusammenarbeiten. So analysierte MTV während der diesjährigen MTV Movie Awards 580.000 Twitter-Nachrichten, um Trends auf seiner Website zu visualisieren. Current.tv blendete während Barack Obamas Amtseinführung ausgewählte Twitter-Nachrichten direkt auf dem Fernsehschirm ein.
CNN kombinierte anlässlich des gleichen Events auf seiner Website einen Livevideo-Feed mit Facebook-Statusmeldungen. Nutzer konnten damit in Echtzeit nachvollziehen, was ihre Freunde zu den Ereignissen in Washington zu sagen hatten. Die Idee dazu stammte von einigen Facebook-Ingenieuren, die zwei Monate zuvor Obamas Wahlsieg auf ihren Laptops angeschaut hatten. In einem Browserfenster hatten sie dabei einen Livevideostream geöffnet, in einem zweiten ihr Facebook-Profil.
Im Laufe der Wahlnacht kam ihnen dann die Idee, die beiden Angebote ganz einfach zu kombinieren. Als sie ihren Vorgesetzten davon erzählten, waren diese sofort begeistert. "Wir dachten uns: Warum ist da vorher noch niemand draufgekommen?", so Facebooks Marketingmanagerin Randi Zuckerberg. Mittlerweile wurden derartige Kombinationen bei zahlreichen weiteren Liveevents eingesetzt.
TV-Shows im Mash-up
Auch Webentwickler ließen sich vom Trend zu derartigen Konversationen inspirieren. So bieten Start-ups wie Miso, Philo und Tunerfish ihren Nutzern fernsehbezogene Statusmeldungen an. Inspiriert wurden Miso & Co. dabei vom Lokalisierungsdienst Foursquare. Während sich Foursquare-Nutzer per Check-in in Cafes etc. lokalisieren können, zeigt man bei Miso per Check-in an, welche Fernsehshow sie sich gerade anschauen.
Wie bei Foursquare gibt es dazu auch bei Miso und seinen Konkurrenten Abzeichen als spielerische Belohnung für derartige Anmeldungen. Dabei kooperieren die Plattformen immer häufiger mit Fernsehsendern, die sich davon Werbung für ihre Shows versprechen.
Personalisierung nebenbei
Bisher bieten diese Dienste ihren Nutzern noch wenig Mehrwert. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von Fernsehinhalten im Netz und der bevorstehenden Markteinführung von Web-TV-Endgeräten wie Apples iTV und dem Google TV könnten Miso & Co. zu einem interessanten sozialen Filter für Fernsehinhalte werden.
Anstatt von Kanal zu Kanal zu zappen, klickt sich der Fernsehzuschauer der Zukunft von Unterhaltung zu Unterhaltung - und stellt sich dabei ganz nebenbei sein persönliches Fernsehprogramm zusammen.
(Janko Röttgers)