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"Doom": Grobes Gepixel mit gewaltigen Folgen

GAME CHANGERS
04.09.2010

Es gibt Spiele, die verändern erst die Wahrnehmung und dann eine ganze Industrie. Wie zum Beispiel der First-Person-Shooter "Doom" von id Software. Anatol Locker lässt das Spiel und seine Zeit Revue passieren. Erster Teil der futurezone.ORF.at-Serie "Game Changers".

Am 10. Dezember 1993 brachte die texanische Firma id Software das Spiel "Doom" heraus. "Doom" veränderte die Welt der PC-Games und setzte auf Jahre hinaus den Standard für First-Person-Shooter. Seine innovative Sprengkraft revolutionierte nicht nur das Shootergenre, sondern zwang eine ganze Branche dazu, in 3-D zu denken.

Zur Person:

Anatol Locker schlug sich schon früh im Leben mit Rechengeräten wie dem CBM 3032, dem Sinclair ZX81 und dem C64 herum. Er arbeitet seit 1984 als Journalist zum Thema Computerspiele. Für futurezone.ORF.at schreibt er die Serie "Game Changers" über Spiele, die die Industrie verändert haben.

Die Serie wird unter folgender Adresse gesammelt:

PC-Games, bei denen sich Spieler frei im dreidimensionalen Raum bewegten, gab es freilich schon lange: Firebirds "Cholo", Domarks "Driller" und Origins "Ultima Underworld". Aber sie waren laaaangsam oder langweilten mit Detailarmut.

"Doom" war das erste 3-D-Spiel, das eben nicht ruckelte. Sein Vorläufer "Wolfenstein 3D" war schon beeindruckend schnell, aber technisch nicht so weit ausgereift. In Europa hatte "Wolfenstein" ohnehin ein Problem: Der Start des Spiels fand nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Erst fand "Wolfenstein 3D" keinen Distributor. Dann wurde es in Deutschland wegen Abbildung von Hakenkreuzfahnen nicht nur indiziert, sondern gleich beschlagnahmt. Vielleicht war es ja auch keine gute Idee, ausgerechnet das Horst-Wessel-Lied zur Titelmelodie zu küren.

Game Changer "Doom"

Die Engine, die jeder wollte

Id Software hatte bisher 2-D-Spiele wie "Commander Keen" für Apogee produziert. Danach folgten erste 3-D-Versuche mit "Hovertank 3D" und "Wolfenstein 3D". Id-Mitgründer John D. Carmack stellte 1992 die 3-D-Engine fertig. Sie war das Beste, was es seinerzeit auf dem Markt gab. Schnell, ausgefeilt, vergleichsweise einfach zu programmieren.

Das Spiel, das id Software um die Engine strickte, war wie ein guter, gruseliger Actionfilm, nicht mehr, nicht weniger. Die eingebauten Rätsel hätte ein Dreijähriger lösen können. Hier ging es um Reflexe und die schiere Lust am Ballern. Der Spieler startete mit einer Pistole. In schneller Folge gab es eine Kettensäge, eine Schrotflinte, einen Raketenwerfer, ein Plasmagewehr und die legendäre BFG9000 - laut Carmack eine Abkürzung für "Big Fucking Gun" - abzuholen. Subtilität konnte man dem Spiel nun wirklich nicht vorwerfen. Pubertierendes "Kiss my Ass"-Gehabe schon eher. Aber id Software spielte ohnehin bravourös auf der Rebellenklaviatur. Zum Beispiel in Sachen Distribution.

Was 1993 noch passierte:

Revoluzzer-Distributionsform und Deathmatches

Die Art, wie "Doom" verbreitet wurde, war höchst clever. Das Spiel besteht aus drei Episoden, die auf eine Diskette passen. Die erste Episode, also ein Drittel des Spiels, verschenkten die Macher kostenlos als Demo. Das hatte den Flair einer halblegalen Raubkopie. Wer das Spiel erstmals auf seinem PC installierte, bekam den Mund nicht mehr zu - und wollte natürlich die beiden anderen Teile spielen.

Ein Jahr nach seiner Veröffentlichung war "Doom" auf mehr amerikanischen Computern installiert als Windows 95. In den Büros wurde es langsam zum Problem - unzählige "Space Marines" vernichteten Arbeitszeit an ihren PCs. Das lag auch an einer weiteren Premiere, die "Doom" zuzuschreiben ist: Um gegeneinander zu spielen, benötigte man kein Nullmodemkabel mehr, eine Ethernet-Leitung reichte aus. Die Deathmatches verstopften die Netzwerke. Intel, Lotus und die Carnegie-Mellon-Universität verboten ihren Angestellten, "Doom" während der regulären Arbeitszeit zu spielen.

Freie Bahn für Modder

Ein weiterer feiner Zug der Macher, der sicher zur Popularität beitrug, war die Trennung von 3-D-Engine und Levelinhalten. Letztere waren modifizierbar, jeder konnte sich eine eigene 3-D-Welt bauen. Nun bekamen Modder alle Hände voll zu tun. Sie designten neue Levels, tauschen die Schreie der Monster mit Pornogestöhne aus, bepinselten Levels mit obskuren Texturen aus "Ghostbusters", "Simpsons", "Aliens", "Star Wars" und "Pokemon". Die Levels verbreiteten sich über Mailboxen und Disketten. Noch heute liegen 13.000 Files auf den FTP-Servern von id Software.

"Doom" drang mit seiner "Beavis und Butthead"-Attitüde tief in die amerikanische Popkultur ein. Nicht allen gefiel das Geballer. Weltweit wurde "Doom" wegen seiner überzogenen Gewaltdarstellung und seiner "satanischen" Bildsprache kritisiert. Dann kam Eric David Harris. Er war "Doom"-Fan und nannte seine abgesägte Schrotflinte nach einer Figur aus dem "Doom"-Universum - "Arlene". Harris sagte zu Freunden, dass Töten wie "das verfickte Doom" sei. Am 20. April 1999 packte er "Arlene" und verübte zusammen mit Dylan Klebold das Massaker an der Columbine High School. Seine Schule hat er übrigens nie als "Doom"-Level nachgebaut. Die Auswirkungen seiner unfassbaren Tat bekommen Spieler noch heute in Diskussionen zu spüren.

Denn nach "Doom" kamen auch zahlreiche Klone des Spiels auf den Markt. Monatelang blieb Apogees "Rise of the Triad" der einzige Konkurrent, doch erschienen in schneller Folge "Heretic", "Hexen" und "Strife". Die Looking Glass Studios bringen mit "System Shock" eines der feinsten 3-D-Spiele aller Zeiten. Drei Jahre später ballerte nicht mehr der "Doomed Space Marine", sondern eine weitere bekannte Shareware-Spielfigur: 3D Realms bringt "Duke Nukem 3D" heraus. Zu dieser Zeit bereitet id Software "Quake" vor, dessen Engine das Shootergenre ins 21. Jahrhundert katapultiert.

Jahrelang blieb dann alles beim Alten. Erst mit "Half-Life 2" kam frischer Wind in die Shooterszene. Aber das ist schon die Geschichte eines anderen "Game Changers".

(Anatol Locker)