EU-Überwachung: INDECT auf Tauchstation
Auf die heftige europaweite Kritik am Überwachungsprojekt INDECT haben die Verantwortlichen mit verschärfter Geheimhaltung reagiert. Bereits eine "mögliche Gefährdung der Reputation der Beteiligten" reicht dafür aus, einen Teil des Projekts aus den Augen der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Der INDECT-"Ethikrat" entscheidet ab jetzt, welche Daten über das Projekt nach außen dringen.
"Für alle, die an INDECT mitarbeiten, ist es entmutigend, dass sie einen signifikanten Teil ihrer Zeit mit Erklärungen verbringen müssen, worum es bei dem Projekt nicht geht, anstatt zu forschen", heißt es in den "Schlussfolgerungen" zum ersten Bericht des Ethikbeirats des von der EU-Kommission geförderten INDECT-Projekts.
Man fühle sich missverstanden, vor allem von Journalisten und "Internetaktivisten", wobei Letztere im Dokument unter Anführungszeichen stehen (Seite 9). Die biometrische Aufrüstung der Videoüberwachungssysteme mit Gesichtserkennung und die Automatisierung der gesamten Abläufe bis hin zur Datenbankablage - ein Kernelement dieses EU-"Forschungsprogramms" - diene nach Ansicht des "Ethikrats" nämlich sowohl der Erhöhung der Sicherheit als auch dem Schutz der Privatsphäre.
PR statt Ethik
Inhaltlich befasst sich der Bericht weniger mit Ethik als vielmehr mit Öffentlichkeitsarbeit. So wird zum Beispiel die Argumentationslinie vorgegeben, die seitens aller Projektbeteiligten gefahren wird:
"Es sollte unterstrichen werden, dass die hauptsächlichen Projektziele höhere Sicherheit und besserer Schutz der Privatsphäre den Menschen dienen, die sich im Bereich einer Überwachungsanlage befinden." So würden "NUR solche Situationen, die eine Bedrohung darstellen, registriert und gespeichert, anstatt ALLE aufgezeichneten Situationen. Außerdem sind Überwachungskameras ohnehin bereits in großer Zahl installiert." - Hervorhebung im Original auf Seite acht.
Weniger "ethisch" als vielmehr praktisch betrachtet, ist das System natürlich zu ganz etwas anderem da als zum "Schutz der Privatsphäre".
EU-Kommission fördert
INDECT ist ein auf eine Laufzeit von fünf Jahren ausgelegtes, von der EU-Kommission gefördertes Projekt, das der "Erforschung" künftiger urbaner Überwachungsnetze dient. Neben automatisierter Videoverarbeitung mit Gesichtsbiometrie soll die INDECT-Plattform auch Videos von vernetzten Drohnen verarbeiten, eine neuartige, für Polizeizwecke optimierte Internetsuchmaschine rundet das Projekt technisch ab.
Überforderte Überwacher
Es ist eine Reaktion auf die immer ineffizienter werdende Videoüberwachung in Großbritannien. Die unzähligen, in London installierten vernetzten Kameras verursachen einen stetig steigenden Personalaufwand seitens der Betrachter, zumal zu jeder Kamera ein Monitor gehört. Eine Monitorwand mit 20 Bildschirmen zu überwachen, strengt beträchtlich an, nach einiger Zeit sinkt die Aufmerksamkeitsschwelle unweigerlich ab.
Automatischer Alarm bei vordefinierten Ereignissen - etwa wenn sich spontan eine Menschenansammlung bildet - soll den Konzentrationsschwächen der Beamten entgegenwirken. Durch Gesichtsbiometrie mit Datenbankabgleich wiederum soll es erstmals möglich werden, Personenfahndungen über ganze Videosystemverbände hinweg hart an der Echtzeit durchzuführen.
Neue Geheimhaltungspolitik
Der durch die Bank vernichtenden Kritik durch die europäische Presse begegnet das "Ethics Board", dem Drew Harris, Assistant Chief Constable der Polizei von Nordirland vorsteht, mit Geheimhaltungspolitik. "Um Ambiguitäten durch nicht konsistente Antworten verschiedener Personen zu vermeiden, könnte in Betracht gezogen werden, eine Person für Medienkontakte zu bestimmen (Seite 8).
Das käme de facto einem Sprechverbot nach außen für alle am Projekt Beteiligten gleich. Zudem wird INDECT demnächst untertauchen, es wird Geheimhaltung verhängt.
Österreicher bei INDECT
Neben der FH Technikum Wien ist auch die Pinkafelder Firma X-Art ProDivision beteiligt. Die Burgenländer bringen jahrelange Erfahrung bei der digitalen Archivierung, Indizierung und automatischen Inhaltsanalyse von Videodateien ein.
"Es wurde beschlossen, dass Themen, die sich negativ auf die Polizeiarbeit, die nationale und öffentliche Sicherheit, oder das Ansehen der Beteiligten auswirken könnten, nicht mehr zu veröffentlichen", heißt es in dem Bericht. Auch Zusammenfassungen sollen nicht publiziert werden." Das "Ethics Board" werde entscheiden, welche Projektdokumente in Zukunft "veröffentlicht werden dürfen", heißt es auf Seite 10.
Polizisten, Zivilisten
Diesem "Ethikrat" gehören neben dem Vorsitzenden Drew Harris zwei weitere Polizisten aus Nordirland an sowie der ehemalige Vizepolizeichef Polens Henryk Tusinski und vier Zivilisten aus dem Forschungssektor.
Die von einem ethischen Standpunkt doch nicht ganz unwichtige Frage des künftigen Einsatzes von vernetzten Drohnensystemen im urbanen Raum etwa gegen Demonstranten, bügelt der "Ethikrat" salopp in fünf Zeilen ab. Der Einsatz von Drohnen über bewohntem Gebiet sei zwar in den meisten Regionen Europas derzeit verboten, aber INDECT sei nun einmal ein Forschungsprojekt. und "Forschungsprojekte befassen sich in der Regel mit künftigen Technologien, für die noch keine Gesetzgebung besteht."
Links
Initiiert wurde das Projekt von der "Polish Platform for Homeland Security", der neben mehreren technischen Universitäten, Innenministerium, Polizeibehörden auch die Militärakademie des Landes angehören. Der Bericht des "Ethikrats" datiert vom 31. August 2010
Spaß im Annex
Während sich in den Anhängen zu derartigen Überwachungsprojekt oft die interessantesten Informationen finden, wartet der Annex zum INDECT-Ethikbericht mit Komik auf. Von der polnischen Datenschutzkommission ließ man sich zum Beispiel Datenschutzkonformität für das INDECT-Projekt bestätigen, die Begründung: Momentan würden noch keine personenbezogenen Daten verarbeitet.
INDECT-Projektleiter Andrzej Dziech legte seinen Antrag auf Montage einer Überwachungskamera bei, und sogar die Erlaubnis des Fahrzeugbesitzers, dessen Gefährt auf einem ungewollt spaßigen INDECT-Werbetrailer kurz im Bild zu sehen ist, wurde ordnungsgemäß eingeholt.
Weit weniger komisch als die Possen im Anhang ist allerdings, dass die Mehrzahl der veröffentlichten INDECT-Dokumente schon von Anfang des Projekts an viele leere Seiten enthalten.
(futurezone/Erich Moechel)