© ORF.at, Karel De Gucht

ACTA: EU-Parlament fordert mehr Transparenz

KONTROLLE
08.09.2010

Der verantwortliche EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat am Mittwoch vor dem EU-Parlament in Straßburg eine Erklärung zu den laufenden geheimen Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA abgegeben. EU-Parlamentarier aller Fraktionen forderten die Kommission dazu auf, für Transparenz in den Verhandlungen zu sorgen. De Gucht sieht diese "kurz vor dem Endspiel", droht allerdings auch mit Rückzug, falls EU-Forderungen nicht erfüllt werden.

An den seit 2007 laufenden ACTA-Verhandlungen sind außer der EU und den USA noch Australien, Kanada, Japan, Südkorea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur und die Schweiz beteiligt. Wenn das Abkommen abgeschlossen ist, sollen sich auch weitere Staaten anschließen können.

Karel De Gucht wiederholte zu Beginn der Aussprache die bereits bekannte Posititon der EU-Kommission. Durch das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) werde sich das EU-Recht nicht ändern. Aus Sicht der Kommission seien auch Datenschutz und Privatsphäre durch die Bestimmungen des Abkommens nicht gefährdet. De Gucht sieht auch das EU-Parlament durch die Kommission gut über die Vorgänge bei den Verhandlungen informiert.

Drohung mit Rückzug

Bei der zehnten Verhandlungsrunde in der US-Hauptstadt Washington seien "gewisse Fortschritte" erzielt, wichtige Fragen aber noch nicht gelöst worden. Der Erfolg des Abkommens liege De Gucht zwar weiterhin "sehr am Herzen", aber wenn es am Ende "für uns keinen Vorteil" gebe, werde die Kommission die Beteiligung am Abkommen "neu prüfen", denn es sei "leider deutlich geworden", dass bei ACTA "wegen Meinungsverschiedenheiten" zwischen den Staaten "nur ein kleinster gemeinsamer Nenner" gefunden werden könne. Für De Gucht ist also auch ein Rückzug von den Verhandlungen nicht ausgeschlossen.

Dadurch sei die "Effizienz" des Abkommens beeinträchtigt. Das stark umstrittene Internetkapitel bezeichnete De Gucht als "heikel" und "innovativ", mittlerweile sei die Bestimmung herausgefallen, mit der die Provider für die Inhalte in ihren Netzen verantwortlich gemacht werden sollten.

In der folgenden Debatte mit kurzen Fragebeiträgen im "Catch the Eye"-Verfahren verlangten die EU-Abgeordneten vor allem mehr Transparenz von der Kommission.

Konservative: Produktpiraterie "zentrales Thema"

Für Daniel Caspary (Konservative; CDU) ist "Produktpiraterie ein zentrales Thema der EU", er ging vor allem auf den Schutz vor gefälschten Medikamenten ein, den ACTA bringen solle. Die Kooperation zwischen Kommission und Parlament bezeichnete Caspary als "gut", den ACTA-Kritikern würde es mittlerweile schwerfallen, noch kritische Punkte an dem Abkommen zu finden.

Gleichwohl forderte er die USA auf, ihre "Blockadehaltung" bei der Veröffentlichung der Entwürfe aufzugeben und die EU-Position zu übernehmen, nach der geografische Herkunftsbezeichnungen wie Markennamen zu schützen seien. Das Problem der Internetsperren sieht Caspary "vom Tisch", auch die Provider seien nun nicht mehr für die Inhalte in ihren Netzen verantwortlich.

Forderung nach Transparenz

Auch Arif Kader von den Sozialdemokraten und Niccolo Rinaldi von den Liberalen forderten die Verhandlungsparteien zur Veröffentlichung der ACTA-Texte auf. Rinaldi wies darauf hin, dass mit China einer der wichtigsten Produzenten gefälschter Güter überhaupt nicht mit am Tisch sitze. Rinaldi: "Man hat da keinen wirklichen Vorteil und muss sich fragen, ob es sich dann überhaupt lohnt, das Abkommen zu unterzeichnen."

Jan Philipp Albrecht von den deutschen Grünen freute sich über die Annahme der Schriftlichen Erklärung 12/2010, in der sich die EU-Parlamentarier unter anderem für eine Öffnung des Abkommens und die Einhaltung geltenden EU-Rechts aussprachen. Diese sei eine klare Verhandlungsvorgabe an die Kommission. Albrecht: "Wir wollen keine Auslagerung der Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte an Private." Der aktuelle Entwurf ermutige "private Kartelle von Rechteinhabern, die Welt nach ihren Vorstellungen zu formen". Die Kommission habe auf Kritik so reagiert, dass die bedrohlichen Bestimmungen im ACTA-Entwurf "lediglich unpräziser" geworden seien. Der Protest des Parlaments zeige Wirkung, es müsse sich aber noch einiges tun, bevor es dem Abkommen zustimmen könne.

Linke: Providerhaftung nicht vom Tisch

Helmut Scholz (GUE/NGL; Linke) übte scharfe Kritik an ACTA, hier einige sich ein "kleiner Club von Ländern" auf gemeinsame Regeln, klammere dabei aber einen großen Teil jener Länder aus, in denen die Produkte aus diesen Ländern konsumiert würden. Die Providerhaftung sieht Scholz nicht vom Tisch, denn ACTA sehe weiterhin Strafen für Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen vor - und darüber könnten die Provider auch weiterhin belangt werden.

Es sei nicht sinnvoll, einigen wenigen US-Großkonzernen die Macht zu geben, auf Zuruf und ohne Rücksprache mit den Betroffenen - wie in ACTA vorgesehen - bestimmte Produkte von den Zollbehörden vernichten zu lassen. Das könne auch dazu führen, dass Konzerne sich unliebsame Konkurrenz von kleinen und mittleren Betrieben vom Hals schafften. Weiters sei in ACTA immer noch ein Passus enthalten, der Provider darauf verpflichte, persönliche Daten ihrer Nutzer auf bloßen Verdacht von Rechteinhabern auszuliefern.

Problem Datenschutz

Die österreichische Abgeordnete Angelika Werthmann (fraktionslos) forderte mehr Transparenz von der Kommission ein. Die möglichen Grundrechtseingriffe durch ACTA stünden "in keinem Verhältnis" zu dem Problem der Urheberrechtsverletzung. Die Kommission habe die versprochene Studie zu den Auswirkungen von ACTA auf die Grundrechte immer noch nicht vorgelegt. Werthmann wies auch darauf hin, dass der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx in einer Stellungnahme die mögliche Beeinträchtigung für die Privatsphäre der Bürger durch das Abkommen scharf kritisiert hatte.

In der Fragerunde forderte auch Elisabeth Köstinger (Konservative; ÖVP) mehr Transparenz von der EU-Kommission ein. Die in der Debatte über ACTA angesprochenen Probleme seien aber auch bereits im bestehenden Recht der Union vorhanden. Ein EuGH-Urteil von 1992 erlaube bereits theoretisch, Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen einzusetzen.

Grüne: "Große Kollateralschäden"

Eva Lichtenberger (Grüne) griff De Gucht scharf an: "Herr Kommissar, Sie haben uns versichert, dass ACTA nichts ändern wird. Man gibt uns aber nicht die Möglichkeit, eigene Expertise einzubringen." Es seien große Kollateralschäden durch die Bestimmungen in ACTA möglich, es gebe keine Transparenz. Was den Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen angeht, so unterstützte Lichtenberger die Position der Kommission, diese seien wie Markenbezeichnungen zu behandeln.

Martin Ehrenhauser (fraktionslos; Liste Martin) wollte von De Gucht wissen, ob dieser eine "Providerhaftung durch die Hintertür" ausschließen könne - eine Frage, die der Kommissar in der knappen Antwortrunde nicht beantwortete. Ehrenhauser prangerte an, dass auch er als Abgeordneter auf eine US-Bürgerrechtsorganisation angewiesen sei, wenn er den aktuellen ACTA-Entwurf analysieren wolle.

Piraten: "Internetkapitel streichen"

Der schwedische Piratenpartei-Abgeordnete Christian Engström sagte: "Wir sind uns einig, dass Fälschung schlecht ist." Allerdings gebe es einen "Unterschied zwischen der Welt der Atome und der digitalen Welt", der in ACTA nicht berücksichtigt werde. Die Sorgen der Provider seien gerechtfertigt und ACTA könne die Innovation in der EU beschädigen. Engström forderte die Kommission auf, das Internetkapitel in ACTA ersatzlos zu streichen.

In seiner Antwortrunde sagte Kommissar De Gucht, man sei nun "kurz vor dem Endspiel" in Tokio. Die nächste Runde finde Ende September, Anfang Oktober in der japanischen Hauptstadt statt. Die Unterhändler der Kommission würden die Kritik der Abgeordneten berücksichtigen. ACTA werde den Schutz der Privatsphäre nicht einschränken. Was die Transparenz in den Verhandlungen angeht, so zog sich De Gucht auf die bekannte Position zurück, dass es außer der EU auch andere Parteien gebe, die der Veröffentlichung erst zustimmen müssten.

Die Kommission sei dafür, den Text zu publizieren. Laut den ACTA-Vereinbarungen reicht es, wenn eine einzige Partei der Veröffentlichung nicht zustimmt. Man werde den Text aber veröffentlichen, bevor über dessen Unterzeichnung entschieden werde.

Verhandlungen seit 2007

ACTA ist unter anderem deshalb umstritten, weil es unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt wird und Bestimmungen enthält, die, zum Vorteil von Medienindustrie und Strafverfolgern, tief in die Rechte der Bürger der Unterzeichnerstaaten eingreifen können. Unter anderem ist in ACTA eine Bestimmung enthalten, nach der die Unterzeichnerstaaten an ihren Grenzen die Inhalte elektronischer Speichermedien prüfen können. Die EU-Kommission hat bisher allerdings verneint, für die EU eine solche Regelung einführen zu wollen. Die USA wollen mit ACTA die scharfen Bestimmungen ihres Copyright-Schutzgesetzes Digital Millennium Copyright Act (DMCA) exportieren. Dazu gehört auch ein Verbot der Umgehung digitaler Schutzmaßnahmen (DRM).

Das EU-Parlament hat sich am Dienstag im Rahmen einer schriftlichen Deklaration mehrheitlich dafür ausgesprochen, die ACTA-Verhandlungen zu öffnen.

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