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Sexfakes verändern die Selbstwahrnehmung

"MATRIX"
12.09.2010

Die Sexualmedizinerin Elia Bragagna hat es häufig mit Patienten zu tun, die ihre Selbstwahrnehmung an Internetpornos messen. Die wiederum haben mit echter Sexualität normalerweise nur wenig zu tun. Im Gespräch mit Ö1 "matrix" zeigt sich die Therapeutin überzeugt: Pornos sind dann wirklich gefährlich, wenn sie ernst genommen werden.

Am Sonntag in "matrix"

Den Radiobeitrag zu diesem Thema hören Sie am Sonntag, den 12. September 2010, im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".

Glaubt man den Internetstatistiken von Netcraft, beinhalten ca. 15 Prozent aller Websites pornografisches Material. Rund 70 Mio. Mal werden täglich Porno, Sex und ähnliche einschlägige Begriffe in die Suchfelder von Google & Co eingetippt. Das sind immerhin 25 Prozent aller Suchanfragen. Unzählige Pornografieseiten und Plattformen wie Youporn, Stumbleporn oder Epornreview zeugen von der hohen Beliebtheit von Sex im Netz. Nicht nur bei Jugendlichen.

Matrix: Frau Bragagna, einem Bonmot zufolge verlöre das WWW die Hälfte aller Inhalte, wenn man die Pornografie daraus löschen würde. Pornoinhalte im Netz sind ungeheuer beliebt. Erschreckt Sie das?

Elia Bragagna: Nicht wirklich, oder sagen wir so: Ich bin mir nicht sicher. Es hat mich nicht zu erschrecken. Dennoch frage ich mich, warum das so ist. Pornografie im Netz haftet etwas Verbotenes, etwas Ersehntes an. Vielleicht etwas, das man in der Beziehung nicht ausleben kann oder sich nicht traut. Ich bekomme allerdings ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass die Personen, die das konsumieren, für echt halten, was sie sehen. Das sind ja alles Fakes, die man da sieht. Wenn die Leute es nicht für echt halten, wenn sie es wie einen Actionfilm mit vielen Stunts anschauen, dann ist es okay, dann ist es ihre Privatsache. Wenn sie es aber für echt halten, dann landen sie früher oder später bei mir oder einer meiner Kolleginnen.

Zur Person:

Die gebürtige Italienerin Elia Bragagna ist Sexualmedizinerin, Psychotherapeutin und Leiterin der Akademie für sexuelle Gesundheit in Wien. Sie beschäftigt sich seit längerem mit dem Themenbereich Sexualität und Sexualstörungen.

Matrix: Noch nie war es so einfach, an Pornos heranzukommen wie heute durch das Internet. Die Medien, aber auch Pädagogen und Psychologen warnen vor der "Generation Porno". Demnach würden Tausende Jugendliche durch leicht zugängliche Pornobilder und -videos verrohen.

Bragagna: Jede Generation, die vor dieser sogenannten Pornogeneration gelebt hat, ist vor etwas Neuem erschrocken. Deshalb sehe ich Pornografie im Netz per se nicht als etwas Bedrohliches. Dennoch mache ich mir Sorgen darüber, dass sich die Störungsbilder bei jungen Männern und Frauen ändern. Ich beobachte, dass junge Frauen immer häufiger zur Lustlosigkeit tendieren und immer mehr Schmerzen beim Geschlechtsverkehr haben oder dass junge Männer oft das Gefühl haben, sie müssten genau die Akrobatik aufführen, die sie aus Pornos kennen und die fast nie der Realität entspricht.

Matrix: Verändert sich denn das Sexualverhalten Jugendlicher durch den leichten Zugang zu pornografischen Bildern, Filmen und Schriften?

Bragagna: Natürlich prägen diese Bilder. Ich bemerke zunehmend, dass Anfragen von Patientinnen und Patienten regelrecht pornografisiert sind. Ich wundere mich schon darüber, dass sich Männer Probleme darüber machen, wie weit sie spritzen können oder junge Frauen gar nicht mehr sagen, dass sie keinen Analsex wollen, sondern nach einer Salbe verlangen, damit sie die Schmerzen nicht mehr spüren. Es wird also nicht gefragt: "Was will ich?", sondern: "Erfülle ich die Vorgaben?" Natürlich heißt das nicht, dass das alle Jugendlichen betrifft. Dadurch, dass man so früh mit Pornos in Berührung kommt, entwickeln Jugendliche außerdem immer weniger eigene Fantasien. Das halte ich für eine Verarmung. Normalerweise verändern sich sexuelle Fantasien täglich und passen sich der Stimmung an. Wenn ich müde bin, hätte ich eine andere Fantasie, als wenn ich fit bin. Die Gefahr besteht, dass Jugendliche oder auch Erwachsene Standardfantasien aus Pornos übernehmen.

Matrix: Wieso schauen sich Kinder und Jugendliche Pornos an, haben sie andere Motive als Erwachsene?

Bragagna: Hundertprozentig. Unsere Gesellschaft kann ja immer noch nicht unbeschwert mit dem Thema Sexualität umgehen. In den Familien werden Sex und Pornografie noch immer kaum diskutiert. Da ist es sonnenklar, dass man sich die Informationen darüber woanders holt. Es ist einfach spannend, in ein unerlaubtes Gebiet reinzuschauen. Das ist doch klar, dass das lockt.

Matrix: Die Diskussion über Pornos, Computer und Jugendliche, über Einflüsse auf eine zunehmende Gewalttätigkeit hat Parallelen mit der Diskussion über Gewaltvideospiele. Wie sehen Sie das?

Bragagna: Ich glaube, die Einflüsse der Bilder machen es nicht aus. Wenn eine Familie ein gutes Gegenbild für das Kind hat, wüsste ich nicht, warum das schädigen sollte. Ich glaube, dass die Konsumenten von Pornos oder Gewaltspielen dann wirklich einen Realitätssinn haben. So locker kann es sich die Gesellschaft nicht machen, einfach einem Medium die Schuld zuschieben. Man muss sich das differenzierter anschauen: Wer ist gewaltbereit und aus welchen Gründen, und was können wir dagegen tun?

Matrix: Muss man die Kombination von Internet und Sexualität immer in die Schmuddelecke schieben? Das Internet kann ja in puncto Sexualität auch nützliche Informationen bieten, oder?

Bragagna: Wir haben aus diesem Grund auch das Portal Sexmedpedia.com gestartet, weil wir mehr wichtige Informationen in Umlauf bringen wollten. Ich möchte das Internet überhaupt nicht nur in diesem sogenannten Schmuddeleck sehen. Es bietet in Sachen Sex auch sehr viele andere Seiten, aber es gehört eben zusätzliche Information dazu.

(matrix/Anna Masoner)