© Ian Bell, Elite

"Elite": Das unendliche Spiel

GAME CHANGERS
18.09.2010

Es gibt Games, die breiten ein Universum vor dem Spieler aus - und verändern das Denken der Designer. Eines dieser Games ist das 3-D-Weltraumspiel "Elite", das seiner Zeit Lichtjahre voraus war. Anatol Locker lässt es für die futurezone.ORF.at-Serie "Game Changers" Revue passieren.

Es fällt schwer, es anders auszudrücken, also sagen wir es so: "Elite" war der Hammer. Das Spiel vollbrachte auf unzähligen Gebieten Pionierleistungen. Es verquickte 3-D, Wireframe-Action, "Star Wars"-Flair und eine einfache Wirtschaftssimulation zu einem extrem gut spielbaren Mix.

Der Spieler startete auf der Coriolis-Raumstation, die träge im Orbit über dem Planeten Lave rotierte. Ein Raumschiff vom Typ Cobra Mk III, Sprit für sieben Lichtjahre und 100 Credits, so die Ausgangsbasis. Um den mickrigen Kontostand aufzubessern, schipperte der Spieler tonnenweise Waren von Lave nach Diso, von Leesti nach Zaonce, von Reorte nach Riedquat. Eine ganze Generation Teenager suchte nach dem besten Preis und der richtigen Fracht, studierte ökonomische Rahmendaten, politische Systeme, Marktpreise und plante lukrative Reiserouten durch die Galaxie.

Zur Person:

Anatol Locker schlug sich schon früh im Leben mit Rechengeräten wie dem CBM 3032, dem Sinclair ZX81 und dem C64 herum. Er arbeitet seit 1984 als Journalist zum Thema Computerspiele. Für futurezone.ORF.at schreibt er die Serie "Game Changers" über Spiele, die die Industrie verändert haben.

Die Serie wird unter folgender Adresse gesammelt:

Sklaven von Lave nach Leesti

Wer Geld gemacht hatte, rüstete auf: Ein größerer Frachtraum, E.C.M.-System, Raketen und dickere Laser. Letztere brauchte man dringend. Piraten, schießwütige Händler und Überfälle der dunklen Außerirdischenzivilisation der Thargoiden, die die Cobra auch mal eben aus dem Hyperraum holen konnten, machten dem Spieler das Leben schwer. Wer Sklaven oder Drogen transportierte, musste neben Piratenüberfällen mit Dauerbeschuss von Polizei-Vipern rechnen, um dann vom verdammten Bordcomputer gekillt zu werden, der das Schiff gegen die Außenwand der rettenden Raumstation bugsierte, statt es durch den Eingang zu fliegen.

"Elite" war kein Spiel - es wurde zur Passion des Jahres 1984. Seine Schöpfer, David Braben und Ian Bell, lernten sich auf dem Jesus College in Cambridge kennen. Beide hatten bereits Spiele programmiert. Braben arbeitete zu jener Zeit an "Fighter", Bell an "Freefall". Nachdem sie "Star Raiders" auf dem Atari 800 gespielt hatten, gaben sie ihre Projekte auf und arbeiteten zusammen. Sie boten "Elite" Thorn EMI an, mit denen Braben bereits einen Vertrag hatte. EMI lehnte das Spiel ab, weil es ihnen zu langwierig erschien. Also gingen sie zu Acornsoft, die das Potenzial erkannten.

Die "Elite"-Ränge (C64-Version)

0 Kills: Harmlos

8 Kills: Relativ Harmlos

16 Kills: Schwach

32 Kills: Durchschnittlich

64 Kills: Überdurchschnittlich

128 Kills: Kompetent

512 Kills: Gefährlich

2.560 Kills: Tödlich

6.400 Kills: Elite

Gegner im 3-D-Radar

Zwei Jahre schrieben Bell und Braben Maschinencode auf dem Acorn BBC Micro, um die richtige Geschwindigkeit für die Wireframe-Darstellung zu erreichen. Sie quetschten das ganze Programm in 48 Kilobyte Speicher; die letzten Bytes verwendeten sie für die Darstellung des 3-D-Radars, ohne das "Elite" unspielbar geworden wäre.

Obwohl Bell und Braben sich kräftig in der üblichen Sci-fi-Popkultur bedienten - Zitate von "2001: Odyssee im Weltall", "Star Wars" und "Kampfstern Galactica" finden sich im ganzen Spiel verstreut -, schufen sie doch etwas Eigenständiges. Eine kluge Entscheidung war es sicher, dem Spiel ein Poster, das "Flughandbuch für Raumhändler" sowie die Novelle "Das dunkle Rad" des kürzlich verstorbenen Autoren Robert Holdstock beizulegen. So kam mehr Flair ins Spiel.

Links zum Game Changer "Elite"

Oolite

Schön gemachtes "Elite" für PC, Mac und Linux, das über ein reines Remake hinausgeht. "Oolite" ist Open Source und entsprechend modifizierbar.

Ian Bells "Elite"

Altmodisch designte, aber höchst informative Website des "Elite"-Programmierers Ian Bell.

"Elite"-Wiki

Sammelpunkt und Nachschlagewerk für "Elite", "Elite II: Frontier", "Frontier First Encounters" und "Oolite". Bietet außerdem Fanfiction aus dem "Elite"-Universum.

Zwischen Premierenpartys und 16-Bit-Computern

Acornsoft schmiss sogar eine Launchparty für Programmierer und Presse - eine echte Premiere für ein Computerspiel. "Elite" verkaufte sich exzellent. Schätzungsweise 600.000 Exemplare gingen über den Ladentisch. Es wurde für jeden Computer portiert, der nicht bei drei auf dem Baum war: Acorn Archimedes, Acorn BBC, Acorn Electron, Amiga, Amstrad CPC, Apple II, Atari ST, Commodore C64, Sinclair Spectrum 48K, MSX-Computer, NES und MS-DOS-PCs. Oh, den Tatung Einstein hätten wir beinahe vergessen.

"Elite" war nicht das erste 3-D-Spiel, das die Drahtgitter-Darstellung nutzte. Auch spielerisch war es weit von der Perfektion entfernt - aber es machte Spielern und Designern schlagartig klar, was Computerspiele sein können. Sukzessive versuchten Spieledesigner auf den neuen 16-Bit-Computern, die Lücken zu füllen, die "Elite" aus Speicherplatzgründen hinterlassen hatte. Spiele wie "Mercenary - Escape from Targ" (1986), "Dark Side" (1987) oder "Driller" (1988) ließen den Spieler in 3-D auf Planeten landen. 1990 hievte "Wing Commander" - das sich fast plagiatiorisch bei "Elite" bediente - nicht nur die Dogfights auf den nächsten Level, sondern zeigte uns endlich, wie es im Inneren einer Raumstation aussah.

Was 1984 noch passierte

Open World oder grenzenlose Langeweile

Bell und Braben hatten eine Türe aufgestoßen, die Spieledesigner bis heute nicht geschlossen kriegen: die zur Open World nämlich. Die "Elite"-Diskette war, bildlich gesprochen, eine kleines Universum. Bell und Braben hatten es geschafft, unglaubliche acht Galaxien mit insgesamt 2.048 Welten in einen Heimcomputer zu quetschen. Auch wenn diese während des Spiels von einem Algorithmus zusammengestellt wurden, war das für damalige Verhältnisse bemerkenswert.

Doch so schön man im Weltraum abhängen konnte, so grenzenlos konnte man sich dort auch langweilen. Kein Wunder also, dass der Mythos der Generationsschiffe entstand - wer minutenlang auf die nächste Raumstation zuflog, hatte genügend Zeit, den Blick schweifen zu lassen und ins Träumen zu geraten. Irgendwann kam der Punkt, an dem man nur noch spielte, um den Rang "Elite" zu erreichen - eine lausige Spielmotivation.

Achterbahn oder Sandkasten

Spieledesigner haben in 3-D-Umgebungen zwei Möglichkeiten. Entweder schnallen sie - metaphorisch gesprochen - ihr Publikum in eine Achterbahn, deren Zweck darin besteht, es fachgerecht durchzuschütteln. Railshooter sind ein typisches Beispiel. Alternativ setzen sie den Spieler, je nach Genre mit Knarre oder Schaufel bewehrt, in einen Sandkasten. Bei diesen Open-World-Spielen besteht die Kunst darin, den Spieler so mit Storys zu fesseln, dass er sich beim Erledigen der Missionen ausreichend unterhalten fühlt. Die meisten modernen Coregamer-Spiele basieren auf dem Open-World-Prinzip.

Auf der Suche nach der optimalen Größe einer Open World gab es kuriose Auswüchse. Die "Alternate Reality"-Serie (1985) bot ein gigantisch großes Rollenspielgelände. Fünf Teile waren geplant, doch nach "Alternate Reality: The City" und "Alternate Reality: The Dungeon" ging der Serie die Luft aus. Kein Wunder: Schließlich hatte Alternate Reality nicht einmal ein Spielziel. Das ließ sich noch übertreffen. Die computergenerierte Spielfläche von "The Elder Scrolls II: Daggerfall" war zweimal so groß wie Großbritannien. Kennziffern wie 5.000 Dörfer, 750.000 NPCs und Hunderte Waffen und Kleidungsstücke klingen aus heutiger Sicht einfach nur sinnlos. Und für "Elite II: Frontier" packte Braben 100 Milliarden Sternensysteme ins Spiel - das klang toll, war aber schlicht und einfach … unendlich langweilig.

Erst GTA macht's richtig

Heute wissen Designer, was sie in Open-World-Spielen besser machen können. Zum Beispiel, indem sie Missionen nicht per Zufall generieren, sondern von Autoren skripten lassen. Oder wenn sie dem Spieler erlauben, Wege zur nächsten Aufgabe abzukürzen. Oder indem sie Architektur und Landschaft abwechslungsreich gestalten und die Handlung damit erzählerisch unterstützen.

Dass das Zwei-Mann-Projekt "Elite" mit der Hardware seiner Zeit diese Latte riss, ist ihm kaum vorzuwerfen. Denn sogar in Zeiten der Hundert-Mann-Teams schaffen es nur drei Firmen, die Open-World-Balance exzellent zu halten: Blizzard mit "World of Warcraft", Bethesda mit "Morrowind", "Oblivion" und "Fallout 3" und natürlich Rockstar mit der "Grand Theft Auto"-Serie. Doch warum "Grand Theft Auto" so abhob, das ist schon wieder eine andere Geschichte.

(Anatol Locker)