PNR: Massive US-Intervention im EU-Parlament
Die Mehrzahl der österreichischen EU-Parlamentarier wurde in der vergangenen Woche einzeln und auf Botschafterebene bearbeitet, einem neuen Passagierdatenabkommen mit den USA zuzustimmen. Die neue, einseitig verhängte Einreisegebühr für EU-Bürger muss drei Tage vor Abflug mit Kreditkarte bezahlt werden. Damit werden auch Geschäftsreisende, deren Firma den Flug gebucht hat, während des Aufenthalts in den USA zeitnah verfolgbar.
Es ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein wichtiges tran?atlantisches Abkommen unmittelbar bevorsteht, wenn die EU-Parlamentarier hohen diplomatischen Besuch aus den USA bekommen. Wie eine Umfrage von ORF.at unter den drei im EU-Parlament vertretenen Fraktionen (EVP, SPE, Grüne) ergab, wurde in den letzten Wochen das Gros der österreichischen Abgeordneten einzeln und in der Regel auf Botschafterebene kontaktiert.
Im vorliegenden Fall geht es wieder einmal um das Abkommen zur Weitergabe von Flugpassagierdaten (Passenger Name Records, PNR), das Europa bekanntlich von den USA im Jahr 2003 verordnet worden war und seitdem periodisch zur Verlängerung ansteht.
Bei einem guten Teil der Abgeordneten stoßen derart massive Interventionen - die auch rund um das SWIFT-Abkommen zu beobachten waren - regelmäßig auf Ablehnung, weil sie als Einmischung in interne europäische Angelegenheiten empfunden werden. Andere MEPs wiederum nehmen eine solche Gelegenheit wahr, um den Exzellenzen aus den USA die europäischen Positionen näher zu erläutern.
"?ind wir Partner, oder was?"
Als ungebührliche Intervention habe er diesen hochrangigen Termin keineswegs empfunden, so MEP Ernst Strasser (EVP) auf Anfrage von ORF.at, sondern als Möglichkeit, Fragen zu aktuellen Entwicklungen zu erörtern. Bei seinem Treffen mit dem US-Botschafter sei zum Beispiel die Frage nach der Qualität der transatlantischen Partnerschaft diskutiert worden, nachdem die USA einseitig eine Einreisegebühr von 14 Dollar für EU-Bürger verhängt hatten, so Strasser: "Was soll man da verhandeln? Sind wir jetzt Partner, oder was?"
Seit der vergangenen Woche präsentiert sich das Einreiseformular für das "Elektronische System für Reisegenehmigung" (Electronic System for Travel Authorization, ESTA), das mindestens 78 Stunden vor Reiseantritt auszufüllen ist, mit einer zusätzlichen Kategorie.
Frische Kreditkartendaten für den Heimatschutz
Die Flugpassagiere in spe müssen seitdem die neue Einreisegebühr verpflichtend mit einer Kreditkarte bezahlen, womit die Datensammlung der US-Heimatschützer um einen weiteren, enorm wichtigen Eintrag bereichert wird. Damit werden nämlich auch Geschäftsreisende aus Europa während ihres Aufenthalts in den USA zeitnah verfolgbar, was ihre Bewegungen und Aktivitäten betrifft, die über die Kreditkarte abgewickelt werden (siehe unten).
Was eine PNR enthält
Alle bisher bekannt gewordenen Datensätze aus dem PNR-System zeigen, dass die US-Heimatschutzbehörden Zugang im Administratorrang zu den weltweiten Buchungssystemen haben. Der amerikanische Reisejournalist und Flugdatenexperte Edward Hasbrouck klagt seit 2006 nach US-Datenschutzrecht seine Regierung vergeblich auf Einsicht in sein Bewegungsprofil.
Vor Abschluss eines neuen PNR-Vertrags mit den USA müssten vor allem die "Transfermechanismen der Daten geklärt werden", sagte Strasser. Die direkten Zugriffe der US-Behörden auf die internationalen Buchungssysteme müssten zugunsten eines "Push-Systems" aufhören.
Damit gemeint ist freilich nicht weniger als eine Umkehrung der seit 2003 von den USA ausgeübten Praxis.
Passagierdaten: Push 'n' Pull
Da die dem Ministerium für Heimatschutz untergeordneten Behörden - die dahinterstehenden Geheimdienste inbegriffen - direkten Zugriff im Administratorrang auf alle großen internationalen Flugbuchungssysteme haben, holt man sich sämtliche eingegebenen Daten direkt nach der Buchung ab. Egal ob nun die Buchung über ein reales, virtuelles Reisebüro oder das Direktbuchungssystem der betreffenden Airline geschieht. Das ist ein "Pull-System".
Der von den Europäern geforderte "Push-Mechanismus" würde wiederum bedeuten, dass pro Passagier und Flug in die USA seitens der Europäer eine ausgewählte Anzahl von Datenfeldern übermittelt wird. Das würde zwar eine gewisse Kontrollmöglichkeit für Europa bringen, zugleich aber auch die Basis für eine neue Megadatensammlung auf europäischer Ebene sein.
"Kein guter Umgang, Eigentor"
"Ich bin dafür, dass man alle Seiten anhört", sagte der Abgeordnete Jörg Leichtfried (SPE), als Europaparlamentarier müsse man derlei Interventionen schon aushalten und schließlich sei es gutes Recht der USA, "Stimmung für ihre Interessen zu machen".
Rechtsverzicht für Einreisende
Rechtsverzicht: Ich (...) bin mir bewusst, dass ich hiermit (...) von sämtlichen Rechten auf Revision oder Einspruch gegen die Entscheidung hinsichtlich meiner Einreiseberechtigung (...) auf eine Anfechtung jeder Abschiebeaktion, die aus einem Antrag auf Einreise im Rahmen des Programms für visumfreies Reisen (Visa Waiver Program) resultiert, zurücktrete.
Leichtfried teilt diese Interessen allerdings in zentralen Punkten überhaupt nicht. "Diese Gebühr ist nicht gerechtfertigt, ich bin dafür, sie reziprok anzuwenden", sagte Leichtfried. Er möchte, dass auch von US-Touristen, die nach Europa reisen, Geld eingehoben wird. Generell sei das "kein guter Umgang" unter Partnern, die Maßnahme werde sich noch als Eigentor für die Tourismuswirtschaft der USA erweisen.
Pro Jahr reisen ungefähr 13 Millionen europäische Bürger in die USA, das durch die Gebühr neu anfallende "Körberlgeld" von etwa 180 Millionen Dollar soll im Verhältnis 5:2 zwischen der seit 2001 heftig gebeutelten US-Tourismuswirtschaft und den Heimatschützern aufgeteilt werden. Die Europäer bezahlen also vier Dollar pro Nase für Abgleich und Dauerspeicherung ihrer personenbezogenen Daten in den Datenbanken der US-Heimatschutzbehörden.
"Politischer Selbstmord"
Seitens der USA wird die Gebühr offenbar als eine Art Kostenbeteiligung angesehen, zumal die US-Diplomaten nimmermüde allen kontaktierten MEPs erklärten, das ESTA-System trage ja auch zur erhöhten Sicherheit der Europäer gegen Terroranschläge bei. So auch der Abgeordneten Eva Lichtenberger, die einen solchen Gedankenaustausch stets als gute Gelegenheit ansieht, im Sinne einer gedeihlichen, transatlantischen Zusammenarbeit das "grundlegend unterschiedliche Verständnis von Sicherheit" in Europa und den USA zu erörtern.
Während Europäer zum Beispiel die Meldepflicht des Wohnsitzes weitgehend akzeptiert hätten, käme die Forderung nach Einführung eines ähnlichen Systems in den USA "politischem Selbstmord" gleich. Neben dem Meldesystem verfüge Europa über eine ganze Anzahl von weiteren, inneren Kontrollmechanismen - Stichwort Personalausweise -, die in den USA undenkbar wären, so Lichtenberger: "Wir sagen ja auch nicht, die USA sollen die Verbreitung von privaten Schusswaffen in den USA möglichst einschränken, auch wenn dies dem europäischen Konsens entspricht."
Kreditkartenpflicht
Der Grund, warum die USA tatsächlich diese neue Gebühr einheben, ist nicht das daraus resultierende Körberlgeld, sondern die neue Möglichkeit, Kreditkartendaten der Reisenden 78 Stunden vor Reiseantritt abgleichen zu können. Deshalb können laut ESTA-Formular ausschließlich Kreditkarten der weltweit führenden Anbieter verwendet werden, rein zufällig stammen alle diese Firmen aus den USA.
Die aus den Buchungssystemen abgezogene Passenger Name Record wird mit den via ESTA-Formular erhobenen Daten abgeglichen. Das geschieht, um zu überprüfen, ob der Reisende auch tatsächlich vorhat, zum genannten Zeitpunkt zu fliegen. In der Regel 24 Stunden vor Abflug oder sogar zeitnäher wird noch einmal mit den durch die Airlines gelieferten Passagierlisten abgecheckt, nach dem Boarding geht die endgültige Liste der Passagiere, die tatsächlich an Bord sind, an Zoll- und Grenzschutzbehörden der USA.
Tracking mit Finanzdaten
Durch die neue Zwangsgebühr kommen die US-Heimatschützer nun mit sehr hoher Sicherheit an Daten heran, die sie bisher nicht erheben konnten: Die Daten jener Kreditkarte, die der Reisende auch bei seinem USA-Aufenthalt mit sich führen wird.
Gerade bei Geschäftsreisenden ist es die Regel, dass eine Firmenabteilung für Flugbuchungen zuständig ist, während der Reisende eine andere Kreditkarte - eine der Firma oder eine private - verwendet. Da kein Zweifel daran bestehen kann, dass die US-Geheimdienste bzw. das Heimatschutzministerium Zugriff auf die Datencenter der Kreditkartenfirmen haben, werden auch Geschäftsreisende aus Europa während ihres Aufenthalts in den USA zeitnah verfolgbar.
(futurezone/Erich Moechel)