Kabel kappen fürs Onlinefernsehen
Sinkende Haushaltsbudgets und wachsende Onlinevideoangebote bringen immer mehr US-Amerikaner zur Aufgabe ihres kostspieligen Kabelanschlusses. Für Pay-TV-Anbieter hält sich der Schaden bisher noch in Grenzen, doch das könnte sich bald ändern. In New York hat die Angst vor dem Abwandern der Konsumenten ins Internet schon Auswirkungen auf die Verträge zwischen Stadt und Kabelfirmen.
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.
Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" berichtet er von der schönen neuen Onlinefernsehwelt. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
Sicher ist sicher: Als die Stadt New York diese Woche einen neuen Nutzungsvertrag mit den TV-Kabelnetzbetreibern Time Warner Cable und Cablevision abschloss, beinhaltete dieser eine eigenwillige Klausel. Der Vertrag sichert New York über zehn Jahre fünf Prozent der mit dem Bezahlfernsehen erzielten Umsätze zu. Die Stadt darf den Vertrag jedoch frühzeitig aufkündigen, wenn sich herausstellen sollte, dass Kabel-TV-Kunden innerhalb dieser Zeit in Scharen zu Online-TV-Diensten abwandern.
New York ist die erste Stadt in den USA, die eine derartige Klausel in öffentliche Verträge aufgenommen hat. Verständlich ist die Absicherung jedoch allemal. Eigentlich geht niemand davon aus, dass die Mehrheit der Konsumenten über Nacht dem klassischen Fernsehen den Rücken kehren wird. So ganz sicher ist man sich angesichts der boomenden Welt der Onlinevideos dann aber auch nicht.
Außenseiter oder Trendsetter
Im Zentrum dieser Debatte steht dabei in den USA der in Fachkreisen so genannte Cord Cutter - ein Konsument, der sich vom Bezahlfernsehen verabschiedet, seinen Kabel- und Satelliten-TV-Vertrag kündigt und sich stattdessen Fernsehsendungen im Netz anschaut. Viele US-Haushalte zahlen Monat für Monat 100 Dollar oder mehr fürs Kabelfernsehen. Gleichzeitig bieten Onlineplattformen wie Hulu.com zahllose Fernsehshows umsonst online an. Angesichts der ökonomischen Krise fragen sich deshalb nicht nur Branchenkenner: Wie lange wird es dauern, bis sich US-Konsumenten massenhaft von ihren Kabelanbietern verabschieden?
Bei der US-Marktforschungsfirma Nielsen hält man das für einen Mythos. Laut Nielsen nutzen in den USA mittlerweile mehr als 66 Prozent aller Haushalte Breitbandinternet und Kabelfernsehen. Schnelles Internet ohne Bezahlfernsehen gibt es dagegen nur in rund vier Prozent aller Haushalte. Cord Cutting sei bisher hauptsächlich auf Hochschulabgänger und Haushalte mit geringerem Einkommen beschränkt, die im Schnitt 40 Prozent weniger TV schauen als der Durchschnittshaushalt.
Umsätze der Kabelnetzbetreiber sinken
Die Frage ist: Wann werden diese Außenseiter zu Trendsettern? Im Frühjahr dieses Jahres gab es erstmals Indizien, dass der Mythos vom Kabelkappen vielleicht doch nicht ganz so weit hergeholt ist. Die Zahl der US-amerikanischen Bezahlfernsehkunden ging im zweiten Quartal nach Angaben von Marktforschern der Firma SNL Kagan um 221.000 zurück - der erste jemals gemessene Einbruch dieser Zahlen nach Jahrzehnten des verlässlichen Wachstums. Sechs der großen acht US-Kabelfernsehunternehmen verzeichneten zudem die schlechtesten Umsatzbilanzen ihrer Geschichte.
Menschen ohne Kabel
Natürlich gibt es viele Gründe dafür, warum Bilanzen einmal schlechter ausfallen, und ein schlechtes Quartal allein stellt noch keinen Trend dar. Mehr als 90 Prozent aller US-Haushalte geben zudem Monat für Monat Geld für Bezahlfernsehen aus, und der durchschnittliche US-Konsument schaut am Tag weiterhin mehr als fünf Stunden Fernsehen. Onlinevideos werden dagegen durchschnittlich sechs Minuten pro Tag angesehen.
Wann sich dieses Verhältnis grundsätzlich ändert, darüber gehen die Meinungen auseinander. Bei der auf Videomarktforschung spezialisierten Diffusion Group geht man davon aus, dass im Jahr 2020 mehr Onlinevideo als klassisches Fernehen angesehen werden wird. Die "New York Times" ("NYT") zitierte dagegen den Marktforscher Bruce Leichtman Anfang des Jahres mit den Worten, Cord Cutter seien "eine bizarre Sorte Mensch, der meist in San Francisco oder New York beheimatet ist und schon vorher nicht viel ferngesehen hat".
Der Spardruck steigt
Doch es gibt Anzeichen dafür, dass der Trend langsam auch im Rest der USA Fuß fasst. So berichten Kabel-TV-Anbieter wie Time Warner, immer mehr Konsumenten würden bei ihnen anrufen, die weniger Geld fürs Bezahlfernsehen ausgeben wollen. "Sie versuchen, in diesen harten Zeiten zu sparen," so Time Warners Kundenservicevertreter Rick Levesque gegenüber der "NYT".
Kabelfirmen reagieren auf solche Anrufe meist, indem sie Kunden mit Rabatten bei der Stange halten. Wie viele Konsumenten sich ohne solche Preiserlasse von ihren Kabelfirmen verabschiedet hätten, ist unbekannt. Einer Umfrage der Yankee Group zufolge will dieses Jahr jeder achte US-Amerikaner seine Kabel-TV-Rechnung reduzieren oder sogar ganz loswerden.
Trendsetter Mobilfunk
Den US-amerikanischen Anbietern des Bezahlfernsehens dürften solche Drohungen nicht unbekannt vorkommen. Die meisten Kabelnetzbetreiber bieten im Rahmen von Triple-Play-Paketen auch Telefondienste an, und Telefonkonzerne wie Verizon und AT&T versuchen sich wiederum am Verkauf von TV-Angeboten. Doch während das Kabelkappen im Fernsehbereich bisher in nur sehr begrenztem Umfang stattfindet, haben sich mittlerweile Millionen von US-Amerikanern vom Festnetztelefon verabschiedet und damit gewissermaßen ein weiteres Kabel abgeschnitten.
Auch in Österreich ist die Substitution von Festnetzanschlüssen durch Mobiltelefonie hoch. Laut dem aktuellen Telekommonitor der Regulierungsbehörde RTR hatten im ersten Quartal 2010 57 Prozent der österreichischen Haushalte einen Festnetzanschluss. Die Durchdringung mit Mobilfunkanschlüssen liegt derzeit bei 140 Prozent, ein Ende des Wachstums sei hier, so die RTR, noch nicht abzusehen.
So berichtete das US-Gesundheitsamt Anfang des Jahres, dass im Jahr 2009 knapp 25 Prozent aller US-Haushalte überhaupt keinen Festnetzanschluss mehr besaßen. Vor fünf Jahren lag die Zahl der Mobilfunk-exklusiven Haushalte noch bei rund fünf Prozent. Jeder siebte US-Amerikaner besitzt zudem ein Festnetztelefon, wird aber praktisch nur noch auf seinem Mobiltelefon angerufen.
Verstärkter Druck durch neue Endgeräte
Skeptiker argumentieren, dass sich dieses Beispiel nicht eins zu eins auf die Welt des Fernsehens übertragen lässt. Mobiltelefone bieten demnach heute einen vollwertigen Ersatz für das klassische Telefon an. Onlinevideoanbieter könnten das bei weitem noch nicht von sich behaupten. Das mag sein - doch die Onlineangebote werden besser, und das Aufkommen neuer Endgeräte macht sie mit dem Konsum im Wohnzimmer kompatibel.
Gleichzeitig wächst mit der YouTube-Nutzerschaft eine neue Generation von TV-Konsumenten heran, für die Online-TV-Konsum längst zum Alltag gehört. Und wenn diese Zuschauer dann erst einmal eigene Haushalte gründen, dann wird ihnen ein Kabelanschluss womöglich so anachronistisch vorkommen wie ein Telefon mit Wählscheibe.
(Janko Röttgers)