Islamistische Propaganda im Social Web
Fast neun Jahre ist es her, dass der damalige US-Präsident George W. Bush den "Kampf gegen den Terror" ausgerufen hat. In dieser Zeit hat sich auch die Aktivität von islamistischen Propagandisten verstärkt - auch im Internet. Vor allem das Social Web dient den virtuellen Dschihadisten als Bühne, wie eine Studie der Landesverteidigungsakademie zeigte.
Am Sonntag in "matrix"
Den Radiobeitrag zu diesem Thema hören Sie am Sonntag, den 19. September 2010, um 22:30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".
Oliver Dengg vom Institut für Human- und Sozialwissenschaft der österreichischen Landesverteidigungsakademie hat das Verhalten islamistischer Propagandisten in seiner Studie "Der Dschihad und das Mitmach-Netz" unter die Lupe genommen.
Dengg, Kommunikationswissenschaftler im Rang eines Obersten, wertete im Rahmen der bereits im April veröffentlichten Studie Sekundärquellen wie andere Studien und Zeitungsartikel aus. Darüber hinaus untersuchte Dengg die Auftritte von Islamisten im Sozialen Web.
Vorproduzierte Botschaften
Vor allem in den letzten Jahren sei die Anzahl der Seiten mit radikal-islamischen Inhalten explodiert, so Dengg: "Auf Plattformen wie YouTube und Facebook haben sich regelrechte Fangemeinschaften gebildet, die ihre Videos und Bilder hochladen und rege miteinander diskutieren."
Aufrufe zur "Invasion" von YouTube und Facebook in radikal islamischen Internetforen zeigen, dass diese Zunahme an Inhalten nicht nur zufällig erfolgte. Denn das Social Web wird von Al-Kaida und deren Ablegern gezielt zur Verbreitung der Propagandamaterialien genutzt. Produziert werden die Botschaften meist von Medienorganisationen wie der GIMF oder dem Al-Fajr Media Center, die als Sprachrohre der Propaganda dienen.
Globalisierte Propaganda
Während die Al-Kaida in den letzten Jahren Rückschläge hinnehmen musste, funktionieren ihre Medienorganisationen ungebrochen gut. Diese hätten ihre Medienarbeit in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert, so Nico Prucha, Islamwissenschaftler und Autor des Buches "Sawt al-Dschihad - die Stimme des Dschihad. Al-Qaidas erstes Online-Magazin".
Zum Medienrepertoire der Dschihadisten zählten demnach nicht nur Drohvideos und Dokumentationen über militärische Operationen, sondern auch Onlinezeitschriften wie das im Sommer erstmals aufgetauchte englischsprachige "Inspire Magazine". Dort waren unter anderem Artikel wie "How to make a bomb in the kitchen of your mom" zu finden.
Rekrutierung mit Lagerfeuerromantik
Der Stil der Produktionen, der vielfach westlichen Nachrichtenformaten nachempfunden ist, und die Übersetzung in mehrere Sprachen zeigen, dass sich die Botschaften an ein globales Publikum richten. Auch deutschsprachige Propagandamaterialien sind häufig zu finden. Wie etwa das Glaubensbekennervideo - "Er kam sah und siegte", in dem der Märtyrertod eines Bonner Islamisten in Pakistan verherrlicht wird.
Mit solchen Videos wollen sich die Dschihadisten nicht nur als Widerstandskämpfer gegen ihre westlichen Kontrahenten stilisieren, die sie als "Kreuzritter" und "Zionisten" bezeichnen, sondern auch neue Rekruten für den Kampf gewinnen. Der Aufenthalt in Ausbildungslagern der Islamisten wird in der Propaganda vielfach als Abenteuerurlaub mit Lagerfeuerromantik für die ganze Familie dargestellt.
Berichte von jenen, die lebend aus den Camps zurückkehren, sprechen allerdings eine andere Sprache. Langeweile, aber auch harter Drill würden die Zeit in den Lagern prägen.
Jihad goes Pop
Wer die Konsumenten der Botschaften sind, ist nicht einfach einzugrenzen. In den Diskussionen der Nutzer auf YouTube und Co verschwimmen oft die Grenzen zwischen radikalem Islamismus, Antiamerikanismus, Antisemitismus und der Vorliebe für Gewalt und Waffen. Die Verbreitungskanäle und Formate, wie etwa das Handyvideoformat 3GP, als auch der Stil der Videos lassen jedoch darauf schließen, dass die Produzenten vor allem technikaffine Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen wollen.
Das zeigen auch Rapvideos, wie die des Amerikaners Omar Hammami, der sich den Mudschaheddin in Somalia angeschlossen hat oder der Ragga-Track "Dirty Kuffar" (etwa: "Dreckiger Ungläubiger") von dem britischen Musiker Sheikh Terra und der Soul Salah Crew aus dem Jahr 2004, welcher sogar bei Amazon.com als digitaler Download angeboten wird.
Mudschaheddin spielen
An ein junges Publikum richten sich auch die Computerspiele der Dschihadisten, wie etwa der Egoshooter "Night of Bush Capturing" aus dem Jahr 2006, welcher auf der Engine von Duke Nukem 3D basiert. Bewandert zeigen sich die virtuellen Dschihadisten auch im Modden von Spielen. So wie etwa "Call of Duty 4 – Modern Warfare", das im Original den Kampf gegen den Terror verherrlicht.
Da die Mods auch auf Fansites der Spiele zum Download bereitstehen, sei der ideologische Hintergrund für die Spieler auf den ersten Blick vielfach nicht erkennbar, so Nico Prucha, der sich in seinem Aufsatz "Food for Thought" mit dem Thema befasst hat: "Die Bilder, Logos und Sprüche in den Spielen könnte man als Teil des Spiels missdeuten, aber die Rolle des Spielers als Mudschaheddin ist klar definiert."
Bilder und Sequenzen aus Computerspielen finden auch in andere Propagandaproduktionen Eingang, etwa in Form von Machinimas, also Filmen, die mit Hilfe von Computerspielen hergestellt werden. So kommt es, dass die 2008 von Youtube gelöschte Scharfschützenserie "Juba the Sniper" als Machinimas mit ähnlicher Ästhetik auf der Videoplattform wieder auftauchen.
Kampf gegen Windmühlen
Inwieweit aus den virtuellen Dschihadisten echte Kämpfer werden können, ist fraglich. Dennoch führen Geheimdienste und Sicherheitsbehörden den Kampf gegen den Terror auch im virtuellen Raum fort. Mit Hackingangriffen und Druck auf die Internet-Service-Provider versuchen sie, die Kommunikation und Propaganda der Dschihadisten zu stören. Einige der Seiten - wie etwa JihadUnspun.com - werden auch als sogenannte Honeypots gehandelt. Dabei handelt es sich um Seiten, die von Geheimdiensten eingerichtet werden, um an Benutzerdaten zu gelangen.
Wie das Beispiel YouTube zeigt, ist der Kampf gegen die virtuellen Dschihadisten ähnlich erfolglos wie der Kampf gegen den Terror. Werden Videos gelöscht, tauchen sie schnell unter anderem Namen wieder auf. Für den Islamwissenschaftler Prucha stellt sich die Frage, ob es überhaupt Sinn ergibt, diesen "Kampf" zu führen. Denn nur wenn man die von ihnen produzierten Materialien kenne, sei es möglich, die Grundhaltung der virtuellen Dschihadisten zu analysieren. Wichtig sei außerdem, "dass wir endlich anerkennen, dass der Dschihad, wie er hier propagiert wird, mit muslimischen Mitmenschen in Österreich nichts zu tun hat", so Prucha.
Oliver Dengg sieht sowohl die muslimischen Bürger als auch die Betreiber der Websites in der Pflicht. Letztere hätten die Benutzungsregeln ihrer Portale zu verschärfen und die Regeln auch durchzusetzen, um die Propaganda einzudämmen. Besonders wichtig aber wäre, so Dengg, "dass muslimische Social-Web-Nutzer sich verstärkt aktiv zu einem moderaten und aufgeklärten Islam und zur Demokratie bekennen und so die extremistischen Onlineaktivisten verurteilen."
(matrix/Margarita Köhl & Daniel Hufler)