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Grundrechte in Zeiten des Internets

ISA 2010
21.09.2010

Beim Internet Summit des Verbands der heimischen Internetprovider (ISPA) erläuterte Martin Selmayr, Kabinettchef von EU-Kommissarin Viviane Reding, am Dienstag die "ungeliebte" Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren und deren Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta.

"Internet: Chance und Gefahr für unsere Grundrechte" war das Thema der Veranstaltung in der Universität Wien. Diskutiert wurde vor allem das Spannungsverhältnis zwischen der Europäischen Grundrechtecharta, in der die EU-Mitgliedsstaaten den Bürgern Grundrechte sichern, und technischen Entwicklungen, die sich extrem rasch verändern und oftmals Eingriffe in diese Rechte darstellen können.

Die ISPA - Internet Service Providers Austria - ist der Dachverband der österreichischen Internet-Service-Anbieter und vertritt die Interessen von rund 200 Mitgliedern

"Internet und Handy sind die größten und revolutionärsten Entwicklungen der beiden letzten Jahrzehnte", erklärte Medienstaatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) in seinen einleitenden Worten. "Aber die Entwicklung des Rechtsrahmens ist nicht im selben Tempo weitergegangen wie die technische." Um auf die rasante Entwicklung in den Neuen Medien besser reagieren zu können, habe die Regierung nun das Kompetenzzentrum "Internetgesellschaft" ins Leben gerufen. "Das Kompetenzzentrum wird dem Ministerrat alle sechs Monate einen Prioritätenkatalog zu den wichtigsten Maßnahmen in der Kommunikations- und Informationspolitik vorlegen", so Ostermayer. Der erste Maßnahmenkatalog sei im Jänner 2011 zu erwarten.

Grundrechte der dritten Generation

Den Standpunkt der EU-Kommission zu Grundrechtecharta und Internet erläuterte Martin Selmayr, Kabinettchef der EU-Kommissarin Reding für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, in seiner Keynote. Eingangs erklärte er dazu die Entstehung der Charta, ein jahrzehntelanger Prozess, der schließlich am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon zu verbindlichem Recht wurde. "Die Charta ist viel moderner als bisherige Grundrechte. Sie beinhaltet auch Grundrechte der dritten Generation - wie eben das Recht auf Datenschutz oder gute Verwaltung", betonte Selmayr.

Dabei träten allerdings immer wieder Grundrechtskonflikte auf, die es zu lösen gilt wie etwa im Falle des SWIFT-Datenabkommens mit den USA, wo das Grundrecht auf Sicherheit mit dem Grundrecht auf Freiheit kollidiere. Auch die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung falle in diesen Bereich, sei aber vor der Grundrechtecharta in Kraft getreten. Deshalb werde die Richtlinie derzeit von der Kommission überprüft, um die Grundrechte stärker hineinzubringen.

Selmayr studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Genf und Passau, am King's College London und an der Universität von Kalifornien (Davis und Berkeley) und wurde 2004 Beamter der Europäischen Kommission und Sprecher für Informationsgesellschaft und Medien. Im Februar 2010 wurde Selmayr Kabinettchef von Reding in ihrer neuen Funktion als Vizepräsidentin der Kommission und EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft.

Reding: "VDS nicht zu deutsch umsetzen"

Eine Änderung der Richtlinie bedürfe natürlich der Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten, was laut Selmayr ein zwei bis drei Jahre langer Prozess sei. Bei der Umsetzung der Richtlinie hätten die Staaten relativ viel Handlungsspielraum. Reding empfehle den Staaten, "dabei mal nicht zu deutsch zu sein" und die Richtlinie nur minimal umzusetzen.

"Diese Richtlinie, die wir alle nicht besonders lieben, kann man durchaus auch grundrechtskonform umsetzen, wenn man die Urteile aus Deutschland und Rumänien einbezieht und den Handlungsspielraum ausreizt", sagte der Jurist wohl auch in Hinblick auf die Tatsache, dass Österreich noch kein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat.

"Möglichkeit von Netzsperren bleibt"

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Mehr dazu hören sie auch um 16:55 Uhr bei "digital.leben" - Michael Fiedler hat am Rande der Veranstaltung mit Selmayr über die Auswirkungen der Grundrechtscharta auf die europäische Sicherheits- und Netzpolitik gesprochen.

Die Radioserie "digital.leben" (Montag bis Donnerstag, 16.55 Uhr, Ö1) ist kostenlos als Podcast abonnierbar:

Zum derzeit vieldiskutierten Thema der Netzsperren, zu denen demnächst eine Richtlinie verabschiedet werden soll, sprach sich Selmayr für den Ansatz "Löschen vor Sperren" aus. Pauschale Lösungen seien aber schwierig, es müsse jeder einzelne Fall überprüft werden, weshalb den Staaten relativ viel Freiraum gelassen werden solle.

"In manchen Fällen geht Löschen einfach nicht, weil die Server außerhalb der EU - etwa in den USA - angesiedelt seien. Hier müsse man über eine gemeinsame Vorgehensweise verhandeln, wozu die Bereitschaft aber seitens der USA sehr gering sei. "So weit sind wir noch nicht, deshalb bleibt die Möglichkeit von Sperren noch erhalten", so Selmayr.

Kommissarin Reding strebe über die nächsten Jahre ganz generell eine Datenminimierung an, nach dem Motto "weniger ist mehr". Ein wichtiger Faktor dafür sei die Datenschutzrichtlinie neu, die noch vor Jahresende ansteht.

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(futurezone/Nayla Haddad)