Videoverleih: Automat statt Internet
US-Fernsehsender und Kabel-TV-Anbieter basteln fleißig an der Zukunft des Onlinefernsehens, doch zahllose Konsumenten besorgen sich ihre Videos stattdessen lieber im Supermarkt. Wer die kostenbewusste Nutzerschaft der Billig-DVD-Verleiher auf seine Seite ziehen kann, wird auch das Match um Onlinevideodienste gewinnen, prophezeien Experten.
Als Apple Ende 2005 mit dem Verkauf von Filmdownloads begann, da prophezeite manch einer das baldige Aussterben der DVD. Tatsächlich sind DVD-Verkaufszahlen seit Jahren rückgängig. Doch von einem umfassenden Umstieg auf digitale Downloads wie im Musikgeschäft kann für Hollywood keine Rede sein.
Schätzungen von Marktforschern zufolge gaben US-Konsumenten im letzten Jahr 8,73 Milliarden Dollar für DVDs und Blu-ray-Scheiben aus - 13 Prozent weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig registrierte die Branche lediglich 0,36 Milliarden Dollar für den Verleih und Verkauf digitaler Downloads.
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.
Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" berichtet er von der schönen neuen Onlinefernsehwelt. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
30 Prozent des Verleihmarktes
Unerwarteter Gewinner dieses Trends ist eine Firma namens Redbox. Die Firma betreibt in den USA DVD-Kiosks - Automaten in Größe eines Kleiderschranks, die den Konsumenten DVDs zum Verleihpreis von einem Dollar pro Tag anbieten. 24.000 dieser Kioske stehen in Supermärken und Einkaufszentren in nahezu allen Orten der USA. Das Angebot eines Kiosks ist dabei auf bis zu 200 verschiedene Titel und 630 DVDs insgesamt beschränkt.
Anfang September gab Redbox bekannt, seit seiner Gründung vor sechs Jahren insgesamt eine Milliarde DVDs verliehen zu haben. Die Marktforschungsfirma NPD Research schätzt, dass Redbox dieses Jahr 30 Prozent des gesamten US-amerikanischen DVD-Verleihmarkts bedienen wird. 2009 wurden in den USA insgesamt 8,15 Milliarden Dollar für Leih-DVDs ausgegeben.
Der Untergang Hollywoods?
Die Billig-Leih-DVDs gefallen nicht jedem. Eine in Los Angeles ansässige Wirtschaftsvereinigung prophezeite vor einem Jahr, Redbox werde den Untergang Hollywoods herbeiführen. In Los Angeles allein stünden demnach 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Angebote wie Redbox führten zudem dazu, dass Verbraucher generell nicht mehr bereit seien, den vollen Endverkaufspreis für eine DVD auszugeben.
Einige Studios hörten deshalb vor zwei Jahren damit auf, DVDs an Redbox zu verkaufen. Die Firma umging diesen Boykott, indem sie ihre Mitarbeiter zu Elektronik-Einzelhändlern schickte und dort gezielt neue Hollywood-DVDs aufkaufen ließ. Große Einzelhändler begannen wenig später, DVDs zu rationieren. Jeder Käufer konnte sich von neuen Titeln nur maximal fünf Exemplare kaufen - nicht genug für Redbox.
Die Firma klagte deshalb im letzten Jahr mehrere große Hollywood-Studios. In diesem Jahr legte man diese Konflikte jedoch bei. Redbox verpflichtete sich, DVDs großer Studios erst 28 Tage nach dem Erstverkaufstag zum Verleih anzubieten. Im Gegenzug bekommt die Firma die Plastikscheiben zu günstigeren Preisen.
DVDs statt iTunes
Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg von Redbox ist, oberflächlich betrachtet, ein weiteres Beispiel für eine Industrie, die sich gegen die Interessen ihrer Konsumenten sträubt. Diese sehen immer weniger Sinn im Kauf teurer Entertainment-Produkte und leihen sich stattdessen lieber Filme für einen Dollar aus.
Doch gleichzeitig offenbart der Redbox-Erfolg auch, dass eine große Zahl von Konsumenten für ihren Medienkonsum immer noch auf physische Speichermedien setzt. Apples iTunes und andere Onlineplattformen bieten bereits seit geraumer Zeit digitalen Filmverleih an. Doch die Umsätze mit diesen zeitlich begrenzt abspielbaren Downloads und Streams sind bisher recht bescheiden. Zahllose Konsumenten stehen lieber im Supermarkt in der Schlange, anstatt sich Filme bequem vom Sofa aus auf den Computer zu laden. Die breite Masse der Kunden lädt ihre Filme nicht aus dem Netz, sondern zieht sie aus dem Automaten.
TV-Inhalte mit Passwort
Dass Zielgruppen in der neuen Fernsehwelt oft ihrer jeweils ganz eigenen Logik folgen, das mussten in den vergangenen Monaten auch Firmen wie der Kabel-TV-Anbieter Comcast und sein Satelliten-TV-Konkurrent Dish Networks feststellen. Angespornt von den Erfolgen von Online-TV-Plattformen wie Hulu und Netflix bauten sie unter dem Stichwort TV Everywhere eigene Systeme auf.
Die Idee hinter TV Everywhere ist simpel: Zahlende Kabel-TV-Kunden können über Angebote wie Xfinity.com im Netz ohne Aufpreis Fernsehsendungen anschauen, die im Angebot der frei zugänglichen Konkurrenz fehlen. Pay-TV-Sender wie HBO und Starz begannen ebenfalls mit dem Aufbau eigener TV-Everywhere-Angebote. Zugriff auf die HBO-Videowebsite haben dabei nur Nutzer, die sich als zahlende Kunden von Kabel-TV-Anbietern autorisieren. Mobile Angebote und Applikationen für iPad-Nutzer sollten TV Everywhere noch attraktiver machen.
Zukunft sieht anders aus
Knapp ein Jahr nach dem ersten Start von TV-Everywhere-Sites ist der Enthusiasmus für die Idee jedoch weitestgehend verpufft. Zuschauer haben die neuen Angebote mehrheitlich ignoriert, und ohne beeindruckende Nutzerzahlen haben sich auch viele Rechteinhaber bei der Lizenzierung attraktiver Inhalte bisher zurückgehalten. Xfinity & Co. fehlt es damit an überzeugendem Content, was wiederum das Gewinnen neuer Nutzer erschwert.
Komplizierte Registrierungshürden sind nur einer der Gründe dafür, dass TV Everywhere floppt. Comcast und seine Verbündeten sind mit Angeboten wie Xfinity einem fundamentalen Denkfehler aufgesessen. Wer nämlich Monat für Monat viel Geld für Kabelfernsehen ausgibt, gehört nicht zur Hauptzielgruppe von Onlineplattformen. Und wer stattdessen Onlineangebote wie Hulu und Netflix frequentiert, zahlt nicht für Kabelfernsehen.
TV Everywhere ist damit ein Angebot ohne Zielgruppe. "Es lenkt vom Wesentlichen ab", glaubt beispielsweise der Branchenkenner Colin Gibbs von der Beratungsfirma Diffusion Group. "Gleichzeitig ist es Teil eines Übergangsprozesses", so Gibbs. Zukunft habe TV Everywhere jedoch nicht.
Erfolg mit Dumpingpreisen
Wie die Zukunft der Onlinefernsehwelt stattdessen aussehen wird, darüber gehen die Meinungen weiter auseinander. Fest steht, dass die Zahl der Onlinezuschauer rasant wächst. Einem aktuellen Ericsson-Bericht zufolge schauen sich mittlerweile 45 Prozent aller Konsumenten mindestens einmal pro Woche TV-Inhalte im Netz an. Gleichzeitig schauen 93 Prozent aller Konsumenten weiterhin auch ganz klassisch fern.
In derartigen Übergangszeiten erweist sich manch ein Geschäftsmodell als überraschender Hit, während andere Versuche komplett floppen. Wie TV Everywhere ist auch Redbox nur ein Übergangsmodell, doch im Gegensatz zu TV Everywhere hat es eine Zielgruppe und erreicht diese auch. Wann und in welcher Form das Redbox-Publikum zu Onlinevideo wechseln wird, könnte eine der wichtigsten Fragen der Branche sein.
Redbox selbst will nicht abwarten, bis es von einem Konkurrenzdienst abgelöst wird. Die Firma möchte im Oktober einen eigenen Onlinevideodienst starten. Details dazu gibt es bisher noch wenig, doch Gerüchte deuten abermals auf ein Billigangebot hin, dass sich gezielt an Sparfüchse wendet. So berichtete Bloomberg im Juli von Plänen, Konsumenten für knapp vier Dollar im Monat unbegrenzte Onlinestreams und vier Leih-DVDs am Kiosk zu bieten. Möglicherweise braucht es zum Durchbruch des Onlinefernsehens und Videokonsums eben einfach zuerst Dumpingpreise.
(Janko Röttgers)