"Doodle Jump": Der Sprung ins große Geld
Es gibt Spiele, die vernichten liebgewonnene Gewohnheiten. Die zerren längst vergessene Geschäftsmodelle ins Rampenlicht. Die lassen aus dem Nichts neue Player entstehen. Wie "Doodle Jump", das Handyspiele populär machte. Anatol Locker über die Geschichte eines modernen Game Changers.
Es fällt leicht, "Doom", "Elite" oder "Tetris" zu lieben: Kaum hat man die Vierzig gerissen, sind Spieleerlebnisse untrennbar mit Kindheit und Jugend verknüpft. Da reichen ein paar Screenshots, vergessene Namen, wenige Details, um in Verzückung zu verfallen. Nebenbei ist Nostalgie übrigens ein wunderbarer Weichspüler, wenn es um Spielbarkeit und Qualität der Spiele geht.
Doch wie sieht es mit Spielen aus, die eine neue Generation ans Gaming heranführt? Spiele, über die Coregamer ihre Nase rümpfen, weil sie schon wesentlich mehr gesehen haben? Sind Coregames, Konsolen, PC-Spiele und aufwendige 200-Mann-Produktionen überhaupt noch das Modell der Zukunft? Ein Game Changer, der diese Fragestellungen aufwirft, heißt "Doodle Jump".
Zur Person:
Anatol Locker schlug sich schon früh im Leben mit Rechengeräten wie dem CBM 3032, dem Sinclair ZX81 und dem C64 herum. Er arbeitet seit 1984 als Journalist zum Thema Computerspiele. Für futurezone.ORF.at schreibt er die Serie "Game Changers" über Spiele, die die Industrie verändert haben.
Die Serie wird unter folgender Adresse gesammelt:
"Plopp, Plopp, Plopp"
"Doodle Jump" kommt extrem niedlich daher. Es ist so simpel, dass sogar Nichtspieler den Einstieg in Sekundenschnelle schaffen: Eine handgezeichnete Figur (von "to doodle": kritzeln) hüpft mit stetem "Plopp, Plopp, Plopp" über Plattformen nach oben. Katapulte, Jetpacks, Trampoline und Sprungfedern katapultieren die Spielfigur immer weiter in den Himmel. Kollidiert man mit einem Feind oder steuert neben eine Plattform, schmiert die Spielfigur mit lautem "Piuuuu" ab, der Score wird gezeigt … und schon leuchtet der verführerische "Nochmal Spielen?"-Knopf auf. Das hat viel von frühen Arcade-Automaten. Nur, dass der Automat inzwischen in die Hosentasche passt.
Programmiert wurde es von den Brüdern Igor und Marko Pusenjak. Ursprünglich wollten die Kroaten ein "Hase sammelt Karotten"-Spiel entwickeln, doch die gekritzelte Platzhaltergrafik war einfach zu niedlich. "Doodle Jump" erschien am 27. März 2009 zum Preis von 79 Cent. Anfangs verkaufte es sich schleppend.
Gute Idee - hoher Gewinn
Als es "Doodle Jump" über Facebook- und Mundpropaganda in die oberen Regionen der Charts des App Stores schaffte, brachen alle Dämme. Seit einem Jahr steht das Handyspiel nun in den Top Ten der Apple-, Android- und Symbian-Charts. Es ist die meistgeladene iPhone-App in Österreich, Frankreich, USA, Spanien und Deutschland. Täglich wird sie fünf Millionen Mal aufgerufen. Da das Geschäftsmodell des Apple App Stores offenliegt, kann man nachrechnen, wie viel Geld wenige Wochen Programmierarbeit in die Kasse gespült haben: Fünf Millionen Downloads brachten den Kroaten 2,75 Millionen Euro, weitere 700.000 Euro flossen an Apple. Zahlen, von denen unabhängige Spielehersteller träumen.
Igor und Marko Pusenjak gaben ihren Angestelltenjob auf und gründeten die Firma Lima Sky. Sogar nach dem Erfolg entwickeln sie das Spiel stetig weiter und bieten neue Szenerien an - kostenlos. 25 Updates sind bisher erschienen: Man hüpft durch Dschungel, Geisterwelten und den Weltraum. Zur WM erschien "Doodle Jump" im Fußballlook.
Das Geheimnis des Erfolgs
Geschicklichkeitsspiele in der "Doodle Jump"-Gewichtsklasse gibt es zum Schweinefüttern. Was das Spiel so besonders macht, ist die Verknüpfung mit den Smartphone-Sensoren: "Doodle Jump" verlegte die Steuerung vom Schirm direkt in die Hand des Spielers. Er braucht sein Handy nur geringfügig zu kippen, die Kontrollen sind empfindlich genug, dass man dabei das Spielgeschehen nicht aus dem Auge verliert. Und dank der Facebook-Connect-Anbindung verbreiteten sich die Scores viral im Freundeskreis.
Handyspiele wie "Doodle Jump" verändern übrigens den Zeitaufwand, den man mit einem Spiel verbringt. Statt längeren Spielsessions wird eben mehrmals täglich gespielt - beim Warten auf die U-Bahn, beim Arzt, auf eine Mail … eine Art spielerischer Zigarettenpause (und wohl mit ähnlicher Suchtwirkung).
Die Fehler der Vorgänger
Warum ausgerechnet Handyspiele wieder abheben, wird klarer, wenn man die Fehler der Vorgänger betrachtet. Starten wir mit Nokia, das sich mit dem Gamehandy N-Gage ein blaues Auge holte. Die Finnen kreuzten im Jahr 2003 ein Serie-60-Handy mit einer tragbaren Spielekonsole - und floppten damit grandios. Nokia hatte sich beim Handydesign zu weit nach vor gewagt: Das "Sidetalker"-Handy sorgte im Netz nur für Hohn und Spott. Ein hastig nachgeschobenes N-Gage QD konnte die Spieler ebenfalls nicht überzeugen. Gute vier Jahre hielt Nokia durch, dann war Schluss.
Technisch lag das N-Gage auf dem Niveau eines Game Boy Advance. Als Handy war es solide. Es vernetzte die Spieler sogar in der N-Gage-Arena per GPRS. Doch die Software fehlte: Knapp 50 Spiele waren Gamern zu wenig. Einige Titel waren gar nicht mal übel. John Romero entwickelte den Shooter "Red Faction", Bethesda brachte den soliden "Morrowind"-Ableger "Shadowkey" heraus.
Richtig grottig spielten sich dagegen unzählige Java-Games, die seit 2003 für Handys erschienen. Da jeder Handyhersteller sein eigenes Süppchen kocht, muss das Spiel für jeden Handybildschirm einzeln angepasst werden - eine idiotische Fleißaufgabe für die Spielehersteller. Der CEO des deutschen Softwarehauses Fishlab erklärte, seine Firma habe beinahe in Konkurs gehen müssen, weil Java-Spiele mehr Aufwand als Marge brachten. Dann kam das iPhone und änderte - eher aus Versehen - das Spiel.
Was 2009 noch passierte:
Startschuss zur digitalen Distribution
Dass man mit digitaler Spieledistribution und "Indie"-Games gutes Geld verdienen kann, hatte Microsoft mit Xbox Live Arcade bewiesen. Auch Sony ist mit dem Playstation Network für PS3 und PSP erfolgreich. Wie Apples App Store bieten sie die Games in geschlossenen Systemen an. Sie lassen wie Apple keine Konkurrenz zu und steuern die Spieleveröffentlichungen genau.
Games-Neueinsteiger Apple (breiten wir den Mantel des Schweigens über "Pippin") lässt sich iPhone, iPod touch und iPad bezahlen - die Geräte sind wesentlich teurer als ihre Pendants. Doch das Zusammenspiel von Hardware, Software, Design und Shop führte zum Erfolg. Apple hatte das bereits bei Musikplayern durchexerziert. Dass das Smartphone auch für Spieler interessant werden könnte, hatte Apple ursprünglich gar nicht auf dem Radar gehabt. Doch die kleinen Spiele a la "Doodle Jump" sind billig, immer verfügbar und schnell gekauft. Impulskäufen steht nichts im Weg: Wenn sie weniger als 20 MB wiegen, kommen sie per Mobilfunknetz direkt aufs Handy, installieren sich - schon kann man spielen.
Der One-Man-Hit
Vieles im App-Store-Markt von Apple, Google und Nokia ähnelt auf den ersten Blick der frühen Heimcomputerzeit: Wann war es zum letzten Mal im restlichen Gamegeschäft möglich, als Hobbyprogrammierer einen Hit zu schreiben? Doch die Erfolgsstory von "Doodle Jump" wird sich nicht wiederholen lassen. Das Hauptproblem: Man geht in der Masse der 225.000 Apps unter. Für Entwickler gibt es keine Möglichkeit, ihre Software direkt im App Store sichtbar zu machen.
Was nicht von Apple oder Google gefeaturet wird, hat kaum Chancen, kommerziell erfolgreich zu werden. Der virale Kanal ist weitgehend abgeschaltet, seit Facebook-Nutzer, vom "Mafia Wars"- und "Farmville"-Spam genervt, ihre Benachrichtigungen ausgeschaltet haben. Kleines Beispiel gefällig? Haben Sie schon von "Chocomatch", "Flags Fun", "Cute Match" oder "AniSays" gehört? Richtig: Alles Spiele der "Doodle Jump"-Programmierer, die kein Mensch kennt.
(Anatol Locker)