Leuchtende Fassaden: Licht als Baumaterial
Die mediale Bespielung von Fassaden wird zunehmend Bestandteil der Architektur. Die Media Architecture Biennale widmet sich Anfang Oktober in Wien mit einer Konferenz und einer Ausstellung den Licht- und Schattenseiten der Medienfassaden. Auch beim Linzer Medienkunstfestival Ars Electronica wurden leuchtende Fassaden diskutiert.
Leuchtreklame ist für uns mittlerweile ein selbstverständlicher Anblick in einer nächtlichen Stadt und nicht nur dort. Auch wenn es optisch nicht so massiv wirkt wie am Time Square in New York oder am Picadilly Circus in London. Wir werden auch hierzulande mit einer Vielzahl leuchtender Bilder bombardiert.
Gleich ob als Standbild, bewegt als beleuchtetes Rolling Board oder als Video Wall, es regt sich immer mehr Interesse für weiter gehende Formen von leuchtenden Flächen als Element der (Stadt-)Architektur. Ob bereits als planerischer Bestandteil von Anfang an mitkonzipiert oder später als Ergänzung in eine Fassade integriert: Skylines zeigen immer mehr Medienfassaden (Media Facades) - wie sie mittlerweile genannt werden.
Sie können dazu dienen, den allgemeinen "Look" eines Bauwerks zu ändern, es beispielsweise an einen Event anpassen, wie etwa bei einem Stadion. Hier werden oft Neonröhren verwendet und die Änderungen sind eher längerfristig, also nicht als Bewegtbild zu bezeichnen.
LED-Fassaden
Eine Fassade architektonisch sozusagen als Bewegtbild aufzusetzen, ist der aktuelle Trend. Hier werden praktisch nur Leuchtdiodenpakete verwendet, die sich schnell und farblich weitgehend verändern können und die sich baulich bequem und kleinteilig einsetzen lassen. Das ermöglicht auch den nachträglichen Einbau, wie etwa beim Wiener Uniqa-Tower. Namhafte Fensterhersteller haben bereits "Plug-ins" im Programm, LED-Module, die in bestehende Fenstersysteme eingeklinkt und leicht verkabelt werden können.
Auch temporäre oder nachträgliche Installationen sind möglich. Sie werden unter anderem mit netzartigen Strukturen erreicht, die die Baulichkeit selbst kaum beeinträchtigen und tagsüber nahezu unsichtbar sind. Ein Beispiel dafür sind die Videowalls am Turm der ehemaligen Union-Brauerei in Dortmund, der "U-Turm-Bilderuhr", einem Projekt der europäischen Kulturhauptstadt "Ruhr 2010".
Eines der spektakulärsten Beispiele einer Architektur, bei der eine Medienfassade von vornherein Planungsbestandteil war, ist das Ars Electronica Center (AEC), das zum Linzer Kulturhauptstadtjahr 2009 anlässlich seines Umbaus eine komplette Gebäudehülle aus leuchtenden Glasplatten erhalten hat, die von 40.000 LEDs beliebig eingefärbt werden können.
Auf dem Media Facades Symposium des Ars Electronica Festivals 2010 hat Referent Gernot Tscherteu vom media architecture institute in Wien eine sehr brauchbare Klassifizierung für diese Fassaden vorgenommen. Er bezeichnet einfache Reklameformate wie Rolling Boards, veränderbare oder aufmontierte Medienträger als "Urban Screens".
"Media Facades" sind für ihn in die Architektur integriert, also fix und eingebettet. Ist das Bauwerk ohne eine Medienfassade gar nicht denkbar und die leuchtende Fassade integraler Bestandteil, wie beim AEC, so spricht Tscherteu von "Media Architecture", einem Hybrid aus Mediendarstellung und Architektur. Der Screen, der die Fassade bildet, ist entscheidend für die Außenwirkung des Gebäudes.
Leuchtende Selbstdarstellung
Medienfassaden sind bei größerem Umfang kostspielig. Leisten können sich das meist nur größere Firmen, denen es - wie bei ihren architektonischen Vorhaben ganz allgemein - oft um die Selbstdarstellung geht. Da prangt dann nachts auch mal das Firmenlogo in voller Größe über alle Stockwerke der Fassade.
Das heutzutage so wichtige Kommunizieren der Marke, die "Brand Communication", wird natürlich auch mit dem neuen architektonischen Mittel der Medienfassaden durchgespielt. Beim Media Facades Symposium der Ars Electronica stellte Ralph Müller von der deutschen Agentur ag4 das T-Mobile-Headquarter in Bonn als Case Study für einen solchen Fall vor. Das Gebäude transportiert über seine Medienfassade die Selbstdarstellung des Konzerns.
Interessant ist übrigens beim Design dieses Projekts die Umsetzung der Fassade als von innen transparente Fläche, bei der sehr dünne LED-Streifen vor den Fenstern so montiert wurden, dass keine Beeinträchtigung der Sicht nach draußen stattfindet.
Dass diese Form der Selbstdarstellung auch danebengehen kann, musste die Investmentbank Lehman Brothers feststellen, deren glitzernde Fassade nach dem Crash der Firma abgedreht werden musste. Tscherteu bezeichnet diese Form der baulichen Selbstdarstellung auch als "Money Architecture".
Architektur verstecken
Dass Medienfassaden manchmal auch den Zweck haben, Architektur zweifelhafter Qualität zu verstecken, zeigt ein Tag-Nacht-Vergleich des Wiener Stadion Centers, wo ein LED-Netz die Architektur in der Dunkelheit geschickt verbirgt.
Content is King
Was ist nun (außer Firmenlogos) auf solchen Fassaden zu sehen? Manchmal ist ja das große Glitzern, die Möglichkeit, im Riesenformat Eindruck zu machen, zunächst die Hauptmotivation der Bauherren. Die Frage, was dann langfristig auf solchen Riesenformaten gespielt werden soll, taucht erst in weiterer Folge auf, wenn die Anfangsbegeisterung der Langeweile Platz gemacht hat, weil sich auf der Fassade nichts Neues mehr tut oder sich ein Programm zu oft und zu lang wiederholt.
Die Frage des Contents stellt sich also auch hier massiv und sollte von Anfang an in ein Projekt integriert werden.
Beim T-Mobile-Headquarter in Bonn pflegt die Agentur ag4 den Inhalt ein, der zunächst hauptsächlich aus vorproduzierten Grafiken und Videos besteht. Sie werden allerdings nicht einfach in eine Abspielschlange gestellt, die dann vor sich hin läuft, sondern in Einzelteile zerlegt, die mit inhaltlichen Tags versehen werden und dann von einem eigens entwickelten Content Management System (CMS) automatisch sequenziert und so in einer Vielzahl von sinnvollen Kombinationen abgespielt werden können und sich dadurch kaum bis gar nicht wiederholen.
Eine weitere Möglichkeit, die gelegentlich auch beim T-Mobile-Headquarter programmiert wird, ist die Einbeziehung der Umwelt und der Menschen, die sich in der unmittelbaren Umgebung befinden und bewegen.
Interaktive Fassaden
Diese "interactive participation by audience" wurde zum Beispiel 2004 beim Ars Electronica Festival von Studenten der FH St. Pölten praktiziert, die gemeinsam mit dem AEC Futurelab eine Installation entwickelt haben, die vom Dach des AEC mit Infrarotkameras Passanten "trackt". Deren Bewegungen und zufällige Begegnungen werden Figuren auf der Fassade zuordnet, die vielfältige Animationen ausführen können, die vom Verhalten der Passanten abhängen. Damals funktionierte die Medienfassade noch über große Videobeamer.
Public Visuals
Für die neue LED-Medienfassade des AEC stehen vielfältige Bespielungen zur Verfügung. Bestimmte Zeiten von Abend und Nacht sind Künstlern vorbehalten, die speziell für diese Fassade Visuals und Animationsprogramme gestalten, ganz besonders natürlich während des Ars Electronica Festivals im September.
Zu anderen Zeiten ist die Fassade für die Öffentlichkeit freigegeben. Das Ars Electronica Futurelab hat zu diesem Zweck ein "Fassadenterminal" entwickelt, das (relativ vandalensicher) auf einem Betonblock am Donau-Ufer vor der wasserseitigen Fassade des AEC zu finden ist. Dort kann jedermann einen MP3-Player oder ein Mobiltelefon mit Audioausgang anschließen und auf einem Touchscreen bestimmen, welche Animationen in welchen Farben zu seiner Musik auf der Fassade auftauchen.
Social Media Architecture
Auch nicht anwesende Besucher können Content für solche Medienfassaden generieren. Bei der in diesem Bereich inzwischen legendären Installation "Blinkenlights" an einem Berliner Hochhaus, die auf den Chaos Computer Club zurückgeht, konnten User im Jahr 2001 per E-Mail oder Mobiltelefon in dem Gebäude das Licht einzelner Fenster steuern und damit einfache Grafiken zusammenstellen, eine "Social Media Facade", wie Gernot Tscherteu sie einordnet.
Media Architecture Biennale Vienna
Das in Wien ansässige Media Architecture Institute ist nicht nur Mitveranstalter von Konferenzen und Events wie dem "media facade festival" in Berlin, sondern richtet auch selbst solche Veranstaltungen aus. Von 7. bis 31.Oktober findet im Wiener Künstlerhaus die "media architecture biennale vienna" statt.
Neben einer Ausstellung, die zahlreiche Projekte präsentiert und bis zum Ende der Veranstaltung geht, gibt es am Beginn (7. bis 9. Oktober) eine Konferenz mit namhaften Vertretern der einschlägigen Szene, die diese Schnittstelle zwischen Medienkunst und Architektur aktuell beleuchten. Am 8. und 9. Oktober finden Workshops mit Medienkünstlern statt.
Die Schattenseiten des Lichts
Neben den reizvollen gestalterischen Möglichkeiten im Bereich Architektur und Medienkunst und dem großflächigen Transport von Werbe- und Corporate-Design-Botschaften, wird eine "Schattenseite" dieser leuchtenden Fassaden oft übersehen: die sogenannte Lichtverschmutzung (Light Pollution).
Weit unterschätzt: Lichtverschmutzung
Neben den immer häufiger werdenden Medienfassaden und Video Walls, die nachts unsere Städte erhellen, ist es natürlich hauptsächlich die teilweise exzessive Straßen- und Gebäudebeleuchtung, die in den Industrieländern die Nacht zum Tage macht. Diesem oft vernachlässigten Thema, zu dem auch kaum ein öffentliches Bewusstsein existiert, hat sich der zweite Teil des Media Facades Symposiums des Ars Electronica Festivals 2010 gewidmet, das ja unter dem Generalthema "repair" vor allem die Beschädigungen und Probleme aufzeigt, die wir dem Planeten mittlerweile zugefügt haben und die nur noch repariert und nicht mehr vermieden werden können.
Zerstörung des Tag-Nacht-Rhythmus
In der langen Zeit der menschlichen Evolution hat eine exzellente Anpassung an den wichtigsten Taktgeber der Natur, den zirkadianen Rhythmus, stattgefunden. Er steuert weiteste Teile des Organismus und wird zunehmend durch künstliche Beleuchtung gestört.
Thomas Posch von der Uni Wien schildert das in beeindruckenden Zahlen: Zwischen hellstem Tageslicht (100.000 Lux) und einer mondlosen Nacht (ein MilliLux) liegen acht Zehnerpotenzen Helligkeitsunterschied. Durch Kunstlicht reduziert sich diese Spannweite, auf die der menschliche Organismus geeicht ist, auf drei Zehnerpotenzen.
Die Folgen sind langfristig Schlafstörungen und in weiterer Folge Schlaflosigkeit (sleeping disorder). Da auch die Produktionszyklen des sehr wichtigen, Träume und Erholung fördernden Hormons Melatonin maßgeblich vom Tag-Nacht- beziehungsweise vom Wach-Schlaf-Rhythmus abhängig sind, führen diese Hormonstörungen statistisch zu häufigeren Krebserkrankungen, typischerweise Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern, also genau bei hormonsensitiven Tumorerkrankungen.
Gigantische Verschwendung
Sieht man sich nächtliche Satellitenaufnahmen von Europa an, so sind alle Ballungsräume klar zu erkennen an jenem Licht, das vor allem in den Himmel abgestrahlt wird. Das rührt hauptsächlich von ineffizienter Straßenbeleuchtung her, die nicht nur nach unten leuchtet, sondern auch nach oben. Praktisch jedes Licht, das über die Horizontlinie strahlt, ist Verschwendung, so Poscher. Hier können allein durch ein verbessertes Lampendesign gigantische Mengen Energie gespart werden. Auch bei Gebäudebeleuchtung geht ein Großteil des Lichts in den Himmel.
Auch bringen exzessive Straßenbeleuchtungen wie beispielsweise auf den belgischen Autobahnen nicht nur keinen Sicherheitsgewinn, sondern erhöhen statistisch belegt sogar die Unfallhäufigkeit, weil sie gegen die hochentwickelten natürlichen Adaptionsfähigkeiten des menschlichen Auges arbeiten.
Die installierte nächtliche Beleuchtung in Europa nimmt stetig zu, die investierte Energie um fünf bis sechs Prozent jährlich. Insgesamt werden 14 Prozent der verbrauchten Energie für Licht verwendet, das entspricht 1.900 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Dabei steigt der Anteil von Beleuchtung zu Werbezwecken an, auch wenn ihr Energieaufwand wegen des Einsatzes von LEDs derzeit proportional sinkt. Wir machen so die Städte mit sinkendem Energieaufwand immer heller. Es gibt in den boomenden Regionen Asiens bereits Städte, in denen es physisch an einigen Stellen außerhalb von Gebäuden kaum mehr einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gibt. Die immer weiter verbreiteten Video Walls und Medienfassaden, vor allem zu Werbezwecken, leisten einen immer weiter steigenden Beitrag dazu.
Weiterführende Links:
Licht nur, wo es gebraucht wird
Die Wissenschaftler, die am Media Facades Symposium vortrugen, waren sich im Fazit ihrer Ausführungen bemerkenswert einig, dass die Lichtverschmutzung ein ernstes Problem geworden ist und eine Gefahr darstellt, nicht nur für den Menschen, sondern auch für Vögel, die sich auf nächtlichen Wanderungsflügen verirren und Insekten, die von bläulicher Beleuchtung angezogen werden, um dann an den Lampen durch Anstoßen oder Verbrennen zu sterben.
Verantwortungsvoller Umgang mit Licht
Das Media Facades Symposium bei der Ars Electronica schlug mit den beiden kontrastierenden Vortragsblöcken eine interessante, interdisziplinäre Brücke zwischen einem spannenden, aktuellen Gestaltungstrend und den immer noch zu wenig beachteten Implikationen des Mediums Kunstlicht auf unsere Umwelt.
Link:
(Thomas Bredenfeld)