16.06.1999

SONIC FICTION

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Zwischen Avantgarde und Mainstream

Im Alter von 17 Jahren erhielt Kodwo Eshun ein Begabtenstipendium für die EliteUniversität von Oxford. Alles was er dort lernte, sagt er, will er wieder aus seinem Kopf herausbekommen. Als Musik-und Literaturjournalist für englische Magazine wie "ID", "The Face" oder "The Wire" kombiniert Futurologe Eshun seine beiden Obsessionen Musik und Science Fiction.

Als er vor fünf Jahren an seinem Buch ¿More brilliant than the sun ¿ Adventures in Sonic Fiction¿ zu schreiben begann, da war man noch skeptisch, vor allem was den Begriff der Sonic Fiction betrifft.

In der Zwischenzeit hat sich die anfängliche Skepsis vor allem in europaweite Begeisterung gewandelt. "In den letzten Jahren entstand soviel Musik, die Science Fiction nahe war, also meine 'sonic fiction' verkörperte", sagt Kodwo Eshun.

Kodwo Eshun: "Was mich interessiert sind Komponisten und Produzenten, die eine Faszination für Mutation zeigen, die wissen, daß das Arbeiten innerhalb von Soundsphären mit SoundMaschinen passiert.

Musik an sich bedeutet eine MaschinenBeziehung, ob man nun eine Bandmaschine verwendet oder sehr komplexe Software. Mich interessieren Musiker,schwarze und weiße, also transkulturell vorgehende, die Maschinen gebrauchen, die für die Aufnahmen ihren menschlichen Organismus verändern."

"master the maker"

Die neue elektronische Popmusik zwischen Avantgarde und Mainstream interessiert Kodwo Eshun. The Prodigy, 4 Hero oder die Chemical Brothers etwa. Amerikanischen Postrock nimmt er unter die Lupe, genauso wie die schwarze Popkultur.

In Kapitel 6 von "Heller als die Sonne ¿ Abenteuer in der Sonic Fiction" schreibt Kodwo Eshun über das "Programmieren von rhythmischen Frequenzen", über die New Yorker HipHop Künstler "The Jungle Brothers".

BlackMusik

Kodwo Eshun: "Spricht man von schwarzer Popkultur, dann meint man gewöhnlich HipHop. Ist von HipHop die Rede, bedeutet das meist GangsterRap, und redet man von GangsterRap, dann handelt es sich in erster Linie um eine männliche Popkultur.

Ich möchte den Begriff der BlackMusic ausweiten bis er sich auflöst und nicht mehr brauchbar ist. Mir geht es mehr um die Elemente, die durch durch die schwarze Musik reisen. Also um BlackMusic an sich. Darunter gibt es viel weiße Musik: Kraftwerk, Xenakis oder John Cage etwa. Die Vorstellung von schwarz oder weiß hat weniger Bedeutung, als die verschiedenen Herangehensweisen an Musik oder an Maschinen."

Transkulturelle Maschinen

Technologie in allen Extremen interessieren ihn, so Kodwo Eshun, genauso wie Literatur, die so geschrieben ist, daß sie genauso aufregend zu lesen ist wie Musik zu hören.

Musiker, schwarze und weiße, transkulturell operierende, die Maschinen verwenden, um ihren menschlichen Organismus zu verändern, das würde ihn interessieren, sagte Kodwo Eshun. So findet sich auch das US-Duo Royal Trux in einer Liga mit Kraftwerk oder John Cage.

"Heller als die Sonne ¿ Abenteuer in der Sonic Fiction" ist eine Mechanographie, eine omnidirektionale Erkundung der MechanoInformatik und des geheimen Lebens der Maschinen, erklärt Kodwo Eshun selbst sein Buch - die KoEvolution von Menschen und Maschinen.

Kodwo Eshun: "Ich mache diesen Unterschied zwischen Menschen und Maschinen nicht. Nicht Computer und Lastwägen alleine sind Maschinen. Meine Brille ist eine Maschine, ein optischer Apparat, der eine ganz eigene Technologie vorausetzt, damit ich sehen kann.

Die Lungen frühgeborener Babies werden im Brutkasten an eine Lungenmaschine angeschlossen, sodaß das Baby in der Tat durch eine künstliche Lunge atmet. Gerade geboren und schon ein Cyborg, mit Maschinen ganz eng verbunden. Maschinen sind uns so nah, sie sind wir."

Vom Außen zum Innen

MakeUp etwa ist eine Form von dieser "ganz nahen, intimen Technologie". Je weiter sich Technologie entwickelt, desto näher kommt sie an unsere Haut heran, wird taktiler. Das sagte auch der Science Fiction Autor Bruce Sterling einmal. MakeUp ist die intimste Technologie überhaupt, insistiert Kodwo Eshun und geht in seinem Buch gleich über zur anachronischen Kybernetik der Welt:

Jedem seine Onkomaus

"Wenn man sich die Electronic Sonata von George Russell anhört, ist das, als wüchse einem ein drittes Ohr. Man wird eine menschliche Onkomaus, das Ohr sprießt wie ein fleischlicher Regenschirm aus dem Genick.

Die zwei Versionen der 'Electronic Sonata For Souls Loved By Nature' des Komponisten Russell aus den Jahren 68 und 80 sind Hörproben eines Jazz, der für die unbekannten Gefahren des InnerSpace aufgerüstet wurde.

Im kybernetischen Zeitalter muß Jazz das Auge des Zyklons durchqueren, implodieren und als elektromagnetischer Dub neu zusamnmengesetzt werden. Anstatt Jazz als Kunst zu beschwören, als Emanation der schönen Seele, die dem militärisch-industriellen Komplex trotzt, hat Russell Jazz so lange technologisiert, bis er zu einem künstlerisch-industriellen Komplex wurde"

Aus: "Heller als die Sonne ¿ Abenteuer in der Sonic Fiction."

Man braucht Nerven

"Jeder Satz ist wie eine Bombe, die in deinem Schädel explodiert", lobt die britische Tageszeitung "The Independent" das Buch von Kodwo Eshun. Es startet einen in Geschwindigkeit und Schärfe unglaublichen Angriff gegen Musikjournalisten und Kulturwissenschafter, die die befremdlichen Klänge der Musik immer domestizieren wollen.

Kodwo Eshun und die metamorphonische Maschine, die das bewegte Nervensystem einfängt; Kodwo Eshun und die Verfolgungsjsagd durch die Kopfhörer; Kodwo Eshun und die Migrationspfade und außerirdische Revolutionen: "Heller als die Sonne, Abenteuer in der Sonic Fiction." (ID-Verlag, Berlin)