Das neue Flugdatenabkommen

04.07.2007

Die Weitergabe der EU-Flugpassagierdaten an die US-Behörden sieht einen Teilabzug des US-Heimatschutzes aus der EU-Buchungsdatenbank Amadeus gegen Lieferung von mehr und genau nach US-Regeln strukturierten Datensätzen vor. EU-Kommissar Franco Frattini nennt das "Reduktion".

Während Frattini gerade ein eigenes EU-System zur Überwachung der eigenen Flugpassagiere ankündigt, stehen die Verhandlungen zwischen den EU und den USA offenbar kurz vor dem Abschluss.

Im Entwurf des Abkommens, der ORF.at vorliegt, für einen neuen Vertrag zwischen der EU und den USA über die Weitergabe der europäischen Flugpassagierdaten ist von einem solchen europäischen System definitiv die Rede.

Wenn der Heimatschutz kooperiert

Wenigstens die USA gehen offenbar davon aus, dass Frattini seine Ankündigungen wahr macht und den Plan der deutschen Ratspräsidentschaft für eine eigene Datensammlung aller EU-Flugbewegungen umsetzt.

In Annex zwei, der die offenbar letzte Position des US-Heimatschutzministeriums vor Unterzeichnung des Vertrags darlegt, heißt es zum Vertragsentwurf in Punkt neun "Reziprozität": Sollte ein Passagier-Informationssystem EU-weit oder in einem der Mitgliedsstaaten eingerichtet werden, "hat das Heimatschutzministerium vor, auf Basis strikter Reziprozität für die Kooperation der Fluglinien unter seiner Jurisdiktion zu sorgen".

Landeverbot, Beschlagnahme

Eine zum Verwechseln ähnliche Passage stand bereits im ersten "Abkommen", das die USA 2001 unilateral verfügt und 2004 in Verhandlungen durchgesetzt hatten, nämlich unter Androhungen von Landeverboten für zuwiderhandelnde Airlines.

Der internationalen Finanzdatenzentrale SWIFT hatte man in ähnlicher Manier - drohende Beschlagnahme des gesamten Datenbestands - zur gleichen Zeit die Übermittlung von mittlerweile weit über 100 Millionen Finanzdatensätzen abgepresst.

Eigenes EU-System

Ein noch stärkerer Indikator dafür ist, dass die EU nach den Wünschen der USA ein ganz ähnliches System aufziehen wird, ist ebenfalls in Annex zwei enthalten, der von der US-Seite verfasst wurde.

13 Fluglinien hätten bereits auf ein Push-Verfahren umgestellt, schreiben die Beamten von US-Heimatschutzminister Michael Chertoff. Das Ministerium für Heimatschutz werde weitere Umstellungen auf "Push" aktiv unterstützen - so die Airlines die "technischen Anforderungen erfüllen".

User Heimatschutz

Das "Push"-Verfahren heißt: Die Fluglinien übermitteln eine Anzahl von genau bestimmten Datenfeldern pro Passagier mindestens 72 Stunden vor Abflug und aktualisieren bis dahin jeden Datensatz bis zum Boarding laufend.

Seit 2001 herrscht hingegen ein "Pull"-Verfahren, da die Fluglinien noch keine Mechanismen zur Datenlieferung parat hatten.

Die US-Heimatschutzbeamten waren und sind dadurch im europäischen Flugdatensystem Amadeus in sehr privilegiertem User-Status, da sie Zugriff quer über eine ganze Anzahl von europäischen Airline-Datenbanken haben. Sie holen sich die Daten also bisher selbst ab.

Bedingungen des Teilabzugs

Diesen von den Europäern geforderten Abzug aus der europäischen Buchungszentrale lassen sich die US-Heimatschützer mit Datenlieferungen en gros vergelten.

Die insgesamt 19 geforderten Punkte sind nämlich breiter gefasst als die bisherigen 34 aus der Amadeus-Datenbank "abgeholten" Datenfelder. Man ist ganz einfach von der technischen Datenfelddefinition der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt [ICAO] abgegangen und hat eine eigene Liste erstellt.

Der Entwurf des neuen Vertrags ist noch nicht offiziell, aber bereits erhältlich, dafür hat die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch gesorgt.

Aus drei mach eins

Die sieht so aus: Punkt 17 [von 19] im neuen Abkommen zum Beispiel umfasst gleich drei der bisher zugestandenen 34 Datenfelder in der jeweiligen Fluglinien-Datenbank: allgemeine Bemerkungen zum Flugpassagier, dessen Essgewohnheiten, körperliche Verfassung usw.

Oder vorher: "Nummern der Gepäckanhänger beim Flug" [ICAO-Datenfeld 24]. Neu: "All baggage information", also sämtliche Informationen über alle Gepäcksmitführungen bei allen Flügen desselben Passagiers.

Historische Koffer

Eine Passage wie diese erklärt auch, warum die "technischen Anforderungen" betont werden. War es vorher der Zugriff auf ein ohnehin vorhandenes Datenbankfeld, so ist es nun die Historie mitgeführter Koffer, logischerweise verknüpft mit der Flughistorie des Passagiers. Vom technischen Aufwand her ist der Unterschied exorbitant.

Oder Punkt 18: Sämtliche "APIS-Informationen", also der gesamten Datensatz aus einem kommenden EU-weiten oder nationalen "Advanced Passenger Information System", wie es die US-Heimatschützer praktizieren, ist an dieselben zu liefern.

Frattini schrumpft Datensätze

Frattini hatte im Vorfeld des Abkommens mehrfach betont, dass die Kommission alles daransetzen werde, um die Datensätze zu "reduzieren".

Ein Sprecher des deutschen Innenministeriums hatte auf Anfrage von ORF.at am Freitag bestätigt, dass es sich bei der "Reduktion" der Datenfelder nicht um eine "Verminderung" der Informationen, sondern vielmehr um eine "Straffung" der Liste handle.

Im zweiten Teil der Serie: Speicherzeiten, Reaktionen

(futurezone | Erich Moechel)