Gericht entscheidet über deutsche Abhörpraxis
Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVG) verkündet am Mittwoch, ob der Bundesnachrichtendienst (BND) weiterhin ohne konkreten Verdacht wahllos Telefonate und Faxsendungen ins Ausland anzapfen und Daten an die Polizei weitergeben darf.
Das Gericht hatte bereits im Juli 1995 in einer einstweiligen Anordnung Bedenken gegen die seit 1994 erlaubte wahllose Rasterfahndung geäußert und die Weitergabe der Abhördaten an Polizei und Staatsanwaltschaft bis zur Entscheidung am Mittwoch erschwert.
"Der Schnee ist super"
Das Verbrechensbekämpfungsgesetz ermöglicht dem BND die "verdachtslose Rasterfahndung" auf der Suche nach Straftaten wie etwa internationalem Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus oder Geldwäsche. In einen Computer werden dazu bestimmte Suchbegriffe eingegeben und dann wie mit einem elektronischen Staubsauger - vor allem Faxsendungen - auf diese Begriffe hin überprüft.
Ein an sich unverdächtiger Satz wie "Der Schnee ist super, das Geld für den Urlaub lohnt sich" genügt schon, um die automatische Aufzeichnung anspringen zu lassen, weil "Schnee" für "Kokain" stehen und ein Drogengeschäft verabredet werden könnte.
Bei der mündlichen Verhandlung im vergangenen Dezember hatte der Innen-Staatssekretär Claus Henning Schapper die Abhörpraxis auf Grundlage des Verbrechensbekämpfungsgesetzes verteidigt.
Er verwies darauf, daß durch die Überwachung etwa verbotene Zulieferungen deutscher Firmen zum pakistanischen Atomprogramm und zum iranischen Raketenprogramm erkannt und gestoppt werden konnten.
SpracherkennungsTechnologie nicht ausgereift
Nach Angaben von BND-Präsident August Hanning werden von den täglich etwa 100.000 Telefonverbindungen ins Ausland nur 700 genauer überprüft. Es seien in erster Linie Faxsendungen; Telefonate spielten in der Paxis so gut wie keine Rolle, da die technischen Möglichkeiten zur elektronischen Spracherkennung noch nicht ausgereift seien.
Hanning mußte vor Gericht allerdings einräumen, daß die Abhörpraxis beim internationalen Terrorismus und bei m Drogenhandel ins Leere läuft, weil diese Täter überwiegend telefonieren und keine Faxe versenden.
Zu den unbescholtenen Opfern der BND-Abhörpraxis gehörte auch ein Korrespondent der Berliner Tageszeitung "taz" in Italien. Neben zwei anderen Klägern hatte daher auch der taz-Verlag Karlsruhe angerufen, weil er befürchtete, daß die Fax-Korrespondenz ihres auf organisierte Kriminalität spezialisierten Mitarbeiters wegen der häufig vorkommenden Suchbegriffe vom BND aufgezeichnet und ausgewertet wird, ohne daß den Betroffenen dies mitgeteilt werde.
Verfassungshüter schränken ein
Vor der einstweiligen Anordnung des BVG reichte dem BND beim Mitlesen der Faxe schon ein x-belieber Anhaltspunkt für den vagen Verdacht einer Straftat, um eine Mitschrift des Faxes an die Verfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Den Verfassungshütern ging diese Praxis allerdings viel zu weit. In ihrer Anordnung von 1995 forderten sie, daß bis zur endgültigen Entscheidung solche sensiblen Daten nur noch dann weitergegeben werden dürfen, wenn ein ernster Verdacht auf eine "konkrete Straftat" vorliegt. Sie begründeten diese Einschränkung damit, daß zahlreiche Bürger "betroffen sein werden, gegen die keine konkreten Verdachtsgründe vorliegen".