Turbulenzen im Online-Buchhandel
Mit 1. Juli fällt die grenzüberschreitende Preisbindung bei Büchern, die in Österreich und Deutschland durch jeweils nationale Preisbindungssysteme abgelöst werden.
Welche Änderungen und Auswirkungen das auf die Buchbranche haben wird, wagt derzeit niemand vorauszusagen. Es ist aber absehbar, dass sich die beteiligten Parteien vor den Gerichten in Österreich und Deutschland und bei der EU- Wettbewerbskommission heftige Auseinandersetzungen liefern werden.
Libro prescht vor
In Österreich, wo mit einem eigenen Gesetz die Preisbindung
aufrechterhalten werden soll, gibt es mit 1. Juli die Möglichkeit,
dem Buchkäufer fünf Prozent Rabatt einzuräumen. Die österreichische
Buchhandelskette Libro AG, die 1996 mit ihrer Beschwerde bei der
EU-Wettbewerbskommission die grenzüberschreitende Preisbindung zu
Fall gebracht hatte, hat bereits angekündigt, dass man im
stationären Buchhandel diese fünf Prozent "natürlich weitergeben"
werde, so Libro-Sprecher Heinz Lederer. Das gelte "sowohl bei Libro
als auch bei Amadeus".

Libro drängt nach Deutschland
Libro wird sich bei seiner Internet-Buchoffensive allerdings nicht auf Österreich beschränken, sondern die Gelegenheit wahrnehmen, um massiv auf den deutschen Markt zu drängen. Gleichzeitig mit dem Ende der alten Buchpreisbindung wird Lion.cc morgen ein eigenes Deutschlandportal starten, über das "Romane wie Sachbücher" zu günstigeren Preisen angeboten werden sollen.
Dazu werde eine bundesweite Werbekampagne in Zeitungen und Fernsehen gestartet, kündigte eine Sprecherin des Unternehmens heute in Berlin an. Das Angebot werde sich allerdings auf "Laien-Bestseller" beschränken, Rabatte auf aktuelle Werke aus Belletristik-Listen seien zunächst nicht geplant.
Libro befindet sich damit auf Konfrontationskurs: Erst gestern Abend hat der deutsche Bundestag einem Gesetz zugestimmt, das in Deutschland weiter feste Preise für Bücher vorschreibt. Bereits zuvor hatte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels massive rechtliche Schritte gegen Libros Internet-"Preisoffensive" angekündigt.
Libro reagiert "gelassen" und beruft sich auf geltendes EU-Recht. Gegen bereits angedrohte Lieferstopps deutscher Verlage will sich der Verlag "im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten" zur Wehr setzen.
Hin und Her
Knackpunkt sind die Re-Importbestimmungen in Deutschland und
Österreich. Bücher, die von deutschen Verlagen nach Österreich
geliefert und wieder in das Ursprungsland zurückgebracht werden [und
umgekehrt], unterliegen auch nach dem neuen deutschen Gesetz
grundsätzlich keiner Preisbindung mehr, können also günstiger als
vom Verlag vorgegeben an die Kunden verkauft werden. Als Ausnahme
sieht die gesetzliche Regelung den Fall vor, dass der alleinige
Zweck solcher Rückimporte die Umgehung der Preisbindung ist. Libro
dagegen will auf EU-Recht pochen, das vor Länderrecht Vorrang habe
und sieht sich in seiner Rechtsansicht durch ein EU-Schreiben
bestätigt.

Libro kooperiert mit WAZ-Gruppe
Libro hat indessen eine weitere Weichenstellung vorgenommen, die helfen soll, die geplante Deutschland-Expansion des Unternehmens und die Entwicklung der Libro-Internettochter Lion.cc stärker zu beschleunigen.
Heute hat die Libro AG bekannt gegeben, dass man sich prinzipiell mit dem deutschen Medienkonzern WAZ-Gruppe [Westdeutsche Allgemeine Zeitung] über eine strategische Kooperation im Internet-Bereich geeinigt habe.
Die Gespräche seien bereits weit fortgeschritten, eine Bestätigung werde "in der nächsten Zeit" erwartet, sagte Libro-Investor-Relations-Sprecher Werner Schleritzko heute dazu. Die Internet-Kooperation mit der WAZ solle dann "allerspätestens" im Herbst starten. Die zuständigen Gremien beider Unternehmen müssten jedoch noch zustimmen.

Kleiner virtueller Grenzverkehr
Nach dem Fall der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung am 1. Juli dürfte allerdings nicht nur Libro die Situation zu seinen Gunsten interpretieren, sondern auch deutsche Online-Buchhändler verstärkt Kunden in Österreich mit günstigen Angeboten locken.
Auch wenn mit einem Preisnachlass auf keinen Fall geworben werden darf und auch wenn die Bücher nicht um einen verminderten Betrag ausgepreist werden dürfen, dürften die Buchhändler sich sehr schnell gezwungen sehen, ihren Kunden ebenfalls die fünf Prozent Rabatt einzuräumen, wenn sie diese auch wieder sehen wollen.
Erfahrungswerte aus den USA
Nach Ansicht von Albert Greco, Professor an der
Fordham-Universität in New York und einer der führenden US-Experten
für den Buchhandel, hat die Praxis der Preisnachlässe auf die
Vielfalt publizierter Werke keine negativen Auswirkungen gehabt. Im
Gegenteil sei die Zahl der Neuveröffentlichungen von 36.000 im Jahr
1970 auf mittlerweile 47.000 bis 48.000 gestiegen. Je billiger etwa
WalMart oder Amazon.com die Ware anbieten, desto stärker setzt der
traditionelle Buchhandel auf Atmosphäre und Beratung. Läden werden
zu Szenetreffs umgestaltet, mit Kaffee-Bar und Plauderecke.
Besonders erfolgreich betreiben dies Ketten wie Borders oder Barnes
& Noble. Die wahren Leidtragenden der Rabatte sind laut Greco die
unabhängigen Händler, deren Zahl in den 90er Jahren von 5.500 auf
jetzt 3.100 gesunken ist. Die Zunahme der Verkäufe via Internet war
laut Greco im vergangenen Jahr der entscheidende Motor für die
Zuwächse der gesamten Branche.
