Peter F. Drucker über die New Economy
Der 1909 in Wien geborene Peter F. Drucker gilt seit seiner Tätigkeit für General Motors in den frühen 40er Jahren als "Erfinder des modernen Managements". Zu seinen größten Bewunderern zählen Jack Welch von General Electric und Andy Grove von Intel, die Drucker seit vielen Jahren auch berät.
In einem siebenseitigen Interview mit der Wirtschaftszeitschrift "Business 2.0" hat Drucker nun erstmals ausführlich zur "New Economy" Stellung genommen. Drucker spricht in dem Interview unter anderem über:
Das Ende des Dot.com-Booms:
"Viele Start-ups sind keine Unternehmen, sondern nur Börsenspiele. Sie scheinen oft nur einen Geschäftszweck zu haben: den Börsengang oder aufgekauft zu werden. Manchmal bin ich entsetzt über die Gier der heutigen Geschäftsführer."
Die Cash-Flow-Probleme vieler Start-ups:
"Start-ups brauchen Zeit, um profitabel zu werden. Ich mache mir zum Beispiel um Amazon keine Sorgen. Es werden aber nur wenige Start-ups überhaupt einen positiven Cash-Flow haben. Und das kann man nicht mehr als Geschäft bezeichnen."
Die wirtschaftlichen Folgen des E-Commerce:
"Es ist zu früh, über E-Commerce zu spekulieren. Niemand weiß, wie ein neuer Vertriebskanal bestehende Wege verändert. Ich glaube langfristig an ein Kombinationssystem aus Online-Verkauf und Auslieferungsstellen vor Ort ... Zum ersten Mal sind durch E-Commerce Verkauf, Herstellung und Lieferung getrennte Bereiche. Die Karten werden neu gemischt. Ich glaube, dass nicht viele der traditionellen Hersteller überleben werden. Denn die Distributoren besitzen die großen, bekannten Marken. In manchen Bereichen werden Design, Herstellung, Marketing und Service für ein Produkt separate Geschäfte werden - wenn auch unter dem Dach einer finanziellen Kontrollinstanz. Ford wird als Herstellerfirma angesehen, aber das Unternehmen stellt nichts her. Es baut zusammen. Das ist ein radikaler Bruch im Massenproduktionskonzept."
Dieser Bruch wird die großen Unternehmen dazu zwingen, zu
Multi-Marken-Organisationen zu werden:
"Angenommen, Sie wären Ford, dann würden Sie im Internet
Ford-Fahrzeuge an Ford-Händler verkaufen. Wären Sie eine
Dot.com-Firma, würden sie alle Marken im Angebot haben und dafür
Händler suchen. Das ist ein enormer Vorteil, allerdings nur auf
Zeit. Ich weiß nicht, welcher Autoriese als Erster realisieren wird,
dass er die Marketingkraft besitzt, der Verkäufer für alle Marken zu
werden."
Die amerikanische Ausgabe von "Business 2.0" enthält die ungekürzte Originalfassung des Interviews, die auch online zugänglich ist:
"Peter Drucker: The foremost business thinker of our age tells what is wrong [and right] with the New Economy"Neue Wirtschaft und Gesellschaft
Drucker, von "Wired" einmal als "das offizielle Orakel von 'Wired'" und "unermüdlicher Querdenker" bezeichnet, nimmt auch zum Prozess gegen Microsoft Stellung, dem er nichts abgewinnen kann: "Ich habe keine Angst vor Monopolen, weil sie am Ende alle zusammenbrechen." Drucker belegt anhand von Beispielen aus der Wirtschaftsgeschichte [IBM, Standard Oil], dass ein Monopolist von einer frühzeitigen Zerschlagung immer profitiert hat.
Aufhorchen lässt Drucker auch mit der Einschätzung, dass die Auswirkungen des Internets auf Non-Profit-Organisationen viel größer sein werden als auf profitorientierte. Vor allem im Bildungsbereich erwartet Drucker dramatische Umwälzungen:
"Die Weiterbildung von Erwachsenen ist die Top-Wachstumsbranche in den nächsten dreißig Jahren, aber nicht in der aktuellen Form. In fünf Jahren werden die meisten Führungskräftetrainings online ablaufen. Das Internet ist dafür das ideale Medium."
Drucker, der sich seit Jahrzehnten auch immer wieder mit gesellschaftlichen Fragen auseinander setzt hat, überrascht auch mit folgender Prognose: "In den letzten vierzig oder fünfzig Jahren war das Thema Wirtschaft dominierend. In den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren werden soziale Belange im Vordergrund stehen, bedingt durch die Überalterung der Bevölkerung."
"Der Guru der Management-Gurus"
Der englische "Economist" bezeichnete Drucker als "the greatest
management thinker of all time", für "Fortune" ist er "the original
management guru" und für die "New York Times" "the man who invented
management". Drucker lernte bereits im Salon seiner Eltern
Schumpeter, Hayek und Mises kennen und nahm in den 30er Jahren an
den legendären Keynes-Seminaren teil. Vom "Management by Objectives"
[MbO] über die Dezentralisierung und Privatisierung bis zum
Entstehen der Wissensgesellschaft hat Drucker alle wichtigen
Entwicklungen in Wirtschaft und Management vorausgesehen. Besonderes
Ansehen genießt Drucker bei den Redakteuren von "Wired", die in den
letzten Jahren gleich drei große Interviews mit ihm geführt haben.
Über Druckers außergewöhnlichen Lebensweg informiert eine Website,
die zu seinem 90. Geburtstag im Herbst 1999 mit Mitteln des
österreichischen Wissenschaftsministeriums eingerichtet worden ist.
Sie enthält auch Ausschnitte aus einem Interview mit Drucker [über
40 Minuten Film- und Tonmaterial] und die wichtigsten Texte von und
über Drucker, unter anderem von Marshall McLuhan, mit dem Drucker
befreundet war.