01.09.2000

ORAKELSPRUCH

Bildquelle: rbr

Peter F. Drucker über die New Economy

Der 1909 in Wien geborene Peter F. Drucker gilt seit seiner Tätigkeit für General Motors in den frühen 40er Jahren als "Erfinder des modernen Managements". Zu seinen größten Bewunderern zählen Jack Welch von General Electric und Andy Grove von Intel, die Drucker seit vielen Jahren auch berät.

In einem siebenseitigen Interview mit der Wirtschaftszeitschrift "Business 2.0" hat Drucker nun erstmals ausführlich zur "New Economy" Stellung genommen. Drucker spricht in dem Interview unter anderem über:

Das Ende des Dot.com-Booms:

"Viele Start-ups sind keine Unternehmen, sondern nur Börsenspiele. Sie scheinen oft nur einen Geschäftszweck zu haben: den Börsengang oder aufgekauft zu werden. Manchmal bin ich entsetzt über die Gier der heutigen Geschäftsführer."

Die Cash-Flow-Probleme vieler Start-ups:

"Start-ups brauchen Zeit, um profitabel zu werden. Ich mache mir zum Beispiel um Amazon keine Sorgen. Es werden aber nur wenige Start-ups überhaupt einen positiven Cash-Flow haben. Und das kann man nicht mehr als Geschäft bezeichnen."

Die wirtschaftlichen Folgen des E-Commerce:

"Es ist zu früh, über E-Commerce zu spekulieren. Niemand weiß, wie ein neuer Vertriebskanal bestehende Wege verändert. Ich glaube langfristig an ein Kombinationssystem aus Online-Verkauf und Auslieferungsstellen vor Ort ... Zum ersten Mal sind durch E-Commerce Verkauf, Herstellung und Lieferung getrennte Bereiche. Die Karten werden neu gemischt. Ich glaube, dass nicht viele der traditionellen Hersteller überleben werden. Denn die Distributoren besitzen die großen, bekannten Marken. In manchen Bereichen werden Design, Herstellung, Marketing und Service für ein Produkt separate Geschäfte werden - wenn auch unter dem Dach einer finanziellen Kontrollinstanz. Ford wird als Herstellerfirma angesehen, aber das Unternehmen stellt nichts her. Es baut zusammen. Das ist ein radikaler Bruch im Massenproduktionskonzept."

Neue Wirtschaft und Gesellschaft

Drucker, von "Wired" einmal als "das offizielle Orakel von 'Wired'" und "unermüdlicher Querdenker" bezeichnet, nimmt auch zum Prozess gegen Microsoft Stellung, dem er nichts abgewinnen kann: "Ich habe keine Angst vor Monopolen, weil sie am Ende alle zusammenbrechen." Drucker belegt anhand von Beispielen aus der Wirtschaftsgeschichte [IBM, Standard Oil], dass ein Monopolist von einer frühzeitigen Zerschlagung immer profitiert hat.

Aufhorchen lässt Drucker auch mit der Einschätzung, dass die Auswirkungen des Internets auf Non-Profit-Organisationen viel größer sein werden als auf profitorientierte. Vor allem im Bildungsbereich erwartet Drucker dramatische Umwälzungen:

"Die Weiterbildung von Erwachsenen ist die Top-Wachstumsbranche in den nächsten dreißig Jahren, aber nicht in der aktuellen Form. In fünf Jahren werden die meisten Führungskräftetrainings online ablaufen. Das Internet ist dafür das ideale Medium."

Drucker, der sich seit Jahrzehnten auch immer wieder mit gesellschaftlichen Fragen auseinander setzt hat, überrascht auch mit folgender Prognose: "In den letzten vierzig oder fünfzig Jahren war das Thema Wirtschaft dominierend. In den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren werden soziale Belange im Vordergrund stehen, bedingt durch die Überalterung der Bevölkerung."