Relative Verzweiflung der Musikindustrie
Das Dilemma der Musikindustrie ist groß und es wird ein großes bleiben. 80% aller MP3 files, so Thomas Böhm vom österreichischen Verband der Musikwirtschaft, sind illegal im Netz.
Für die österreichische Plattenindustrie allein wird der Schaden mit ca. 15 Millionen Schilling beziffert. Kein Wunder also, daß die Plattenfirmen fieberhaft nach einer ¿ für sie tragbaren ¿ Lösung suchen. Und sie glauben sie mittlerweile auch gefunden zu haben:
SDMI - Secure Digital Music Initiative
lautet die späte Antwort der Plattenindustrie auf MP3. 10.000$
kostet es, um bei der Findung eines sicheren Copyrightschutzes für
digital verbreitete Musikfiles im Internet dabei sein zu können. Wie
SDMI wirklich funktionieren soll, ist unklar ¿ die Initiative gibt
es erst seit Dezember 1998. Aber zumindest die Liste der
unterstützenden Konzerne ist beeindruckend: Unterstützt wird diese
Initiative von der führenden internationalen Plattenindustrie und
Computerfirmen wie Microsoft, IBM, Liquid Audio, Diamond Multimedia,
Frauenhofer Insitut, Iomega Corporation, Lucent, Samsung, ...
Erst wenn der Vertriebsweg im Netz kontrollierbar ist, die technischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür international geregelt sind, dann erst kann die Plattenindustrie auf diesen Vertriebsweg umsteigen, so Thomas Böhm. Und fügt noch hinzu: "Grundsätzlich sind wir nicht gegen die Technologie, das ist auch wichtig."
MP3 nützt Plattenindustrie
In einer Studie der Johnson & Wales Universtity gaben 66% an, daß sie sich eine CD kauften, nachdem sie sich die Songs per MP3 heruntergeladen hatten. Und 38% verzichteten auf den Kauf (73,3% davon, weil sie die Musik nicht mochten, und 26,7 Prozent, weil sie die gewünschte Musik ja schon hatten ...).
MP3 - MPEG 1 Layer 3
Die Entwicklung dieses Kompressionsverfahren begann bereits 1987
am Fraunhofer Institut in Erlangen. Die Entwickler des eingetragenen
Standards MPEG 1 Layer 3 - kurz MP3 ¿ hatten ein Ziel: das Erreichen
des größtmöglichen Kompressionsfaktors. Soundfiles können
mittlerweile bis zu 1/12tel ihrer ursprünglichen Größe verkleinert
werden. Und das, laut Nils Rump vom Frauenhofer Institut, bei nahezu
gleichbleibender Klangqualität, die der einer CD entspricht.
Speicher wird gespart, indem nach sogenannten "psychoakustischen
Modellen" alle Daten weggefiltert werden, die das menschliche Ohr
nicht wahrnehmen kann.
Thomas Böhm (IFPI Österreich): "Wir sind in einer Phase wo alles offen ist. Zur Zeit kann man noch nicht sagen, daß das einen Boom auslöst. Im Gegenteil. Man weiß aus dem Handel, daß die Hüllen und Booklets gestohlen werden und die CDs in den Läden liegenbleiben. Das ist wirklich ein deutliches Zeichen für: "Das brauchen wir eh nicht mehr, das laden wir uns aus dem Netz herunter. Nur die Plastikhüllen sind schwieriger zu bekommen."
Die Kleinen sind schneller
Das österreichisch/deutsche Plattenlabel Mego war immer schon mit dem Internet verbunden. Seine Musik wird online überall dort gekauft, wo es auch Kreditkarten gibt. Illegale MP3-Kopien von ihren CDs finden sich jedoch genauso im Internet.
Im Unterschied zur Industrie kann sich Roman Bauer von Mego aber darüber freuen, denn für ihn ist fast jede Form von Verbreitung interessant und bedeutet Gratis-Marketing.
Mego-Sublabel "Falsch"
Mego will mit einem neuen Label MPEG-only Sublabel "Falsch" auf den MP3-Hype reagieren. Soundbites werden extra für diese Art des Musikkonsums komponiert und nach Stichworten indiziert.
So soll sich dann jeder - je nach Stimmung - seine eigene CD zusammenstellen können. Gratis wird die Zusammenstellung einer individuellen CD allerdings nur in der Anfangsphase sein.
Microsoft steigt in den Ring
Während die Plattenindustrie die Verbreitung von MP3-Files über das Internet zu unterbinden versucht, hat die Softwarebranche schon längst auf das rasante Wachstum des MP3-Marktes reagiert.
Apples Multimedia-Software Quicktime kann in der Version 4.0 MP3-Soundfiles abspielen. Real Networks kaufte sich vor kurzem MP3-Knowhow mit dem Erwerb der Softwareschmiede "Xing Technology Corporation" ein. Xing setzte schon seit Jahren auf den MPEG-Standard und entwickelte mit "Streamworks" auch ein eigenes Streaming Audio- und Video-Format.
IBM bastelt an einem eigenen Format namens "Madison, das derzeit in Zusammenarbeit mit der Plattenindustrie getestet wird, und gab die verstärkte Zusammenarbeit mit Real Networks bekannt. Und Microsoft geht den von diesem Konzern gewohnten Weg: Mit MS-Audio 4.0 soll ein neuer Standard entstehen.
MS Audio 4.0
MS Audio 4.0 soll das von Real Networks entwickelte Internet-Streaming-Format G2 ersetzen ¿ und erlaubt es dem Anwender, Soundfiles genauso wie bei MP3 zu handhaben und zu speichern. Die Soundqualität, so wird behauptet, soll besser sein als MP3. Ein Portable Player auf der Basis von Microsoft Windows CE Betriebssystem und Windows Media Technologies 4.0 wird bereits von Casio unter dem Namen E-100 entwickelt. In Aufregung versetzt wurde die Branche aber vor allem durch die Tatsache, daß Microsoft durch die Implementierung dieser Technologie in seine Betriebssysteme und Browser die Kapazität hätte, bislang führende Standards vom Markt zu verdrängen.
Der Kampf um den Standard
Microsoft gibt sich trotz der Vorstellung von MS-Audio offen für alles: Auf der einen Seite sitzt der Konzern mit der Plattenindustrie an einem Tisch, wenn es um die Entwicklung von SDMI geht. Auf der anderen Seite stellt sich Microsoft ¿ so Andreas Kunar von der "Internet Division" von Microsoft Österreich - auch nicht öffentlich gegen das Format MP3:
"Wir glauben, daß man Innovationen vorantreiben soll, und haben deswegen MS Audio 4.0 auf den Markt gebracht. Ziel Nummer Eins: Doppelte Komprimierung. Parallel dazu aber auch die Möglichkeit, daß die Leute, die Inhalte produzieren, auch die Verbreitung kontrollieren können. Das heißt, ein wirkliches Business - ähnlich dem klassischen CD-Business - über das Internet entstehen zu lassen."
Konkurrent oder Partner?
Die Reaktionen der Plattenindustrie auf Microsofts Initiative sind unterschiedlich. Laut einem Bericht der New York Times sind manche Plattenbosse seit der Ankündigung von MS Audio 4.0 auf Microsoft nicht gut zu sprechen. Sie kritisieren die Art und Weise, wie Microsoft versuchte, sie von diesem neuen Format zu überzeugen. Als neuer möglicher Standard sind ihnen die Sicherheitsmaßnahmen zu gering und sie lieben auch nicht gerade die Vorstellung, daß der Windows Media Player MP3 Files spielen können soll. Auch fehlt ihnen die Zusicherung von Microsoft, daß sie den noch zu findenden SDMI Standard in Zukunft unterstützen werden.
Thomas Böhm von der Österreich-Division der IFPI hat damit keine Probleme. Ihm ist jedes Format recht, solange die Musikwirtschaft wieder die Kontrolle über ihre Produkte zurück erlangt. Und für Roman Bauer von Mego ist jeder Standard ein Grund für neue Experimente.
International Federation of Phonographic Industries
IFPI nennt sich die international organisierte
Interessensvertretung der Musikindustrie. (In Österreich: Verband
der Musikwirtschaft) Ihre Mitgliederanzahl umfasst mittlerweile
1.300 Plattenproduzenten in über 70 Ländern. Darunter auch die "Big
Players" der Plattenindustrie: BMG, EMI, Sony Music, Universal Music
International und Warner Music, aber auch kleinere Independent
Labels. Gegründet wurde der Verband bereits 1933.
Ausführliches Diskussionsmaterial über die Zukunft und die Entwicklungen rund um MP3 finden sich auf den News Site von
mp3.comFür manche kommt die Entwicklung von MP3 und die Verbreitung dieses Formates einer Revolution gleich: so auch für Jon Katz. Seiner Meinung nach ist MP3 das Ende der Diktatur der Plattenindustrie.
Jon Katz über MP3