09.05.1999

IN MEMORIAM MARK WEISER

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Das stille Verschwinden der Computer

Seine Theorie ist allgegenwärtig

Hätte es überhaupt noch eines Beweises bedurft, die derzeitige Hysterie rund um den bevorstehenden Jahreswechsel wäre es gewesen. Plötzlich kommt man darauf, hinter wievielen Teilen des persönlichen Lebens eigentlich ein Computer steckt. Nicht nur im PC, im Videorekorder, im Fernseher, im Radio und so weiter. Computer sind allgegewärtig. Mark Weiser war es auch. Wie vor ein paar Tagen bekannt wurde, ist er am 27. April im Alter von nur 46 Jahren verstorben.

Ubiquitous Computing

"Ubiquitous Computing" ¿ der alltägliche Umgang mit allgegenwärtigen Computern. Mark Weiser verglich das Ziel seines Konzepts mit Sprache oder Elektrizität: beide Technologien sind unauffällig, werden unbewußt genutzt und sind eine der Grundlagen unserer Gesellschaft und Kommunikation.

"Menschen sind soziale Kreaturen und der Computer sollte diesem Charakteristikum nicht im Wege stehen, sondern sich anpassen". Diese Feststellung animierte Mark Weiser, Schlagzeuger der Band "Severe Tire Damage" und Chief Technologist bei Xerox, Ende der 80er-Jahre den Computern ein "natürlicheres" Erscheinungsbild zu geben und sie soweit wie möglich unsichtbar zu machen: Die Umsetzung dieser Idee, die unter dem Namen "Ubiquitous Computing" bekannt wurde, begann 1988 im Xerox Palo Alto Research Center (PARC).

Die Anfänge

Die Idee zu "Ubiquitous Computing" kam Mark Weiser, Chief Technologist im Xerox "Palo Alto Research Center" (PARC), beim Nachdenken über das Erscheinungsbild und den Platz, den Computer im täglichen Leben einnehmen. Am Anfang seiner Überlegungen stand nicht so sehr die technische Machbarkeit, als vielmehr sein Interesse an den sozialen Auswirkungen von Computern. Damals las er Studien von diversen Anthropologen, die das menschliche Berufsleben analysierten. Sie stellten fest, daß der Mensch im großen und ganzen in einer Arbeitswelt lebt, in der Erfahrungen ausgetauscht und Alltagssituationen miteinander geteilt werden.

Dem standen sowohl damals, Ende der 80er-Jahre, als auch heute Maschinen gegenüber, die nachwievor isoliert im Raum stehen und nicht in das soziale Umfeld integriert sind: große und klobige Bildschirme und Computergehäuse bilden noch immer den Mittelpunkt von Büro und Heim. Mark Weiser wurde auch bewußt, daß Computer nur selten als Werkzeug betrachtet werden, mit dem die Arbeit leichter und schneller bewältigt werden kann, sondern als das Gegenteil: als zusätzliche Arbeit.

Computer aus dem Gesichtsfeld der Menschen zu verbannen ist kein einfaches Unterfangen. Es ist nicht nur die Frage nach einem neuen User Interface Design, sondern stellt den bisher üblichen Umgang mit der Maschine genauso in Frage wie deren Erscheinungsbild mit Keyboard, Bildschirm, Harddrive und Kabeln.

Die Herausforderung für Mark Weiser und sein Team bestand darin, die Zusammenarbeit und die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer neu zu definieren und Computer derart zu verbessern, daß sie in ihrer Rolle, dem Menschen aus dem Weg zu gehen, um einiges besser werden. Denn die sollten sich, so Mark Weiser, wieder mehr um ihr eigenes Leben kümmern.

Das Prinzip

Das Grundprinzip von "Ubiquitous Computing" ist simpel: die unübersehbaren Desktop-Computer sollen in kleine, billige Geräte "zerlegt" und ¿ wenn möglich - in Alltagsgeräte eingebaut werden. In einem Konzeptpapier von Mark Weiser und John Seely Brown heißt es: "In einem amerikanischen Mittelklasse-Haushalt finden sich heute mehr als 40 Mikroprozessoren: sie stecken im Wecker, im Mikrowellenherd, im Fernseher, der Stereoanlage, den Fernbedienungen, im Spielzeug der Kinder usw. Mit 'Ubiqitous Computing' hat diese Situation nichts zu tun, denn einerseits sind diese Prozessoren und ihre Leistungsfähigkeit versteckt, und zweitens sind sie nicht miteinander vernetzt."

"Der erste Schritt hin zum 'Ubiquitous Computing' wäre, diese einzelnen Geräte zu verbinden. Der zweite Schritt wäre, die einzelnen Netzwerke in den Haushalten über das Internet zu verbinden. Das würde den Zugang zu Millionen verschiedener Informationsquellen ermöglichen."

Das Ungewöhnliche an dem Konzept "Ubiquitous Computing" ist, daß der "Information Overload" vieler Computer-Anwender mit noch mehr Information bekämpft werden soll. Mit dem Unterschied, daß er sich durch geeignetes Design dessen nicht mehr bewußt ist. Doch trotz der rosigen Aussichten befürchten viele, daß die Computer im Hintergrund ein beinahe unerschöpfliches Potential an Manipulationsmöglichkeiten bieten.

Calm Technology

Im Xerox Parc gibt es ein "Instrument" für die Systemadministratoren, das nichtsahnende Besucher in den meisten Fällen übersehen. Der "Dangling String" ist nichts anderes als ein Plastikfaden, der von der Decke eines Raumes hängt. Doch dieser Faden dient den Technikern zur Überwachung der Netzbelastung im LAN.

Ein kleiner Elektromotor beginnt den Faden zu drehen, wenn die Netzbelastung zunimmt, und bei extremem Verkehr im Netz beginnt der Faden durch die schnelle Drehung zu pfeifen. "Dangling String" ist eine Installation von Natalie Jeremijenko und eines der funktionsfähigen Beispiele für "Calm Technology" - Informationstechnologie, die nicht die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Benutzer erfordert.

Lieber ruhig als virtuell

"Calm Technology" ist das Gegenteil von Handys, Pagern, Computern, dem Web, Radio oder Fernsehen. Es ist der Versuch, Informationstechnologie zu entwickeln, die in den "Hintergrund" tritt, in gewissem Sinn "unsichtbar" wird, und trotzdem den Benutzer informiert. Nur daß der nicht seine ganze Aufmerksamkeit dem Instrument und seiner Bediehnung widmen muß, sondern die Informationen größtenteils unbewußt wahrnimmt. "Calm Technology" soll - so das Konzept - wie ein Auto funktionieren: schließlich kann man neben dem Fahren auch mit seinem Beifahrer reden oder Radio hören, und im Regelfall signalisiert das sonore Motorengeräusch auch nur, daß im Inneren des Autos alles in Ordnung ist. Erst dann, wenn der Motor zum Beispiel zu klopfen beginnt, wird der Fahrer seine Aufmerksamkeit auf das Auto lenken und die Information zu deuten versuchen.

Längst Realität

"Ubiquitous Computing" ist keine Utopie mehr. Die Wissenschaftler vom Xerox Parc haben sich mittlerweile an die Existenz kleiner tragbarer Computer ("Tab")gewöhnt, die über ein drahtloses Netzwerk miteinander verbunden sind, den Informationsaustausch unter den Mitarbeitern gewährleisten (und es nebenbei auch ermöglichen festzustellen, wo sich jemand gerade im Gebäude befindet).

Zahlreiche andere Institutionen arbeiten an der Realisierung des Konzepts von Mark Weiser. Im Rahmen von "Things That Think", einem Projekt am Massachusetts Institute of Technology, versuchen Wissenschaftler, Alltagsgeräte mit rudimentärer "Intelligenz" auszustatten.

Mark Weiser

Eine Sammlung seiner Thesen, Arbeiten und auch Privates.

~ Link: http://www.ubiq.com/hypertext/weiser/weiser.html ~